Der Irrtum des Sich-selbst-lieben-Sollens

 

"Man kann andere erst dann lieben, wenn man sich selbst lieben kann." Das ist ein heute sehr aktueller, oft gepriesener Satz.

Bereits damals, als ich ihn zum erstenmal hörte, ging mir dieser Satz schon gegen den Strich, allerdings hatte ich keine Ahnung warum. Unwillkürlich brachte ich ihn irgendwo in Zusammenhang mit Eigenliebe und dem nicht weit davon entfernten Egoismus. Die Reaktion meiner jeweiligen Gegenüber war fast ausschließlich zwischen kopfschüttelnd und empört. "Nein", so hieß es immer, "das ist etwas völlig anderes! Es bedeutet, sich so anzunehmen, wie man ist, sich nicht wegen Schwächen oder gar Fehlern zu verdammen, es heißt doch auch 'liebe deinen nächsten wie dich selbst'... nein, man kann nur andere lieben, wenn man zuerst sich selbst lieben kann".
Jede Menge an Argumenten, klang alles ganz plausibel, aber keines konnte mein Unbehagen zerstreuen. Folgende unzählige Gespräche mit Frauen und Männern, psychologische und philosophische Literatur brachten auch keine Klärung. Bis es mir dann irgendwann wie Schuppen von den Augen fiel!

Aber gehen wir doch zusammen auf die Suche nach der Antwort!

Wie in Umspannwerk kurz beschrieben, sind wir Menschen eine Art Transformatoren. Wir erhalten unabläßig Kraft, die wir mit unserem freien Willen lenken können, wohin wir wollen . Ob bewußt oder unbewußt, dieser Vorgang ist ein ununterbrochenes Fließen, von dem wir lediglich die Richtung beeinflussen können. Bewußt können wir die Kraft gleichzeitig jeweils nur in eine einzige Richtung lenken. Deshalb ist es - nebenbei bemerkt - auch sehr trügerisch, wenn wir uns mit unseren schwachen Seiten zu sehr auseinandersetzen, egal, auf welche Weise. Wenn wir z.B. sagen "ich will nicht ungeduldig sein", dann passiert etwas Seltsames: Das Unterbewußtsein radiert das 'nicht' weg und übrig bleibt der Satz "ich will ungeduldig sein". Und genau das wollen wir ja nicht. Hier sollten wir uns vielmehr darauf konzentrieren, geduldig und durchläßig zu sein, wie eine Birke im Wind. Aber das ist eine andere Geschichte.

Also zum Sich-selbst-Lieben. Wir können unsere erhaltene Energie nur in eine Richtung lenken. Wenn ich denke 'ich liebe mich selbst', dann passiert folgendes: Ich führe die Energie, die ich bekomme, mir selbst zu. Bildlich gesehen sieht das so aus: . Auf den ersten Blick mag das ja ganz gut klingen, aber überlegen wir doch einmal, was dabei passiert: Anstatt die Kraft, so wie es sein sollte, fließen zu lassen, bilden wir bewußt einen Stau! Wir bekommen die Kraft, um sie durch uns fließen zu lassen und dürfen sie lenken. Aber wir sollen sie wieder abfließen lassen. Indem wir uns jedoch auf uns selbst konzentrieren, lenken wir sie, statt sie weiterzugeben, auf uns zurück!

Außerdem trüben wir unseren Blick für die Umgebung, weil wir ja auf uns schauen, anstatt rund um uns. Wir können nicht gleichzeitig auf uns sehen und auch die Umgebung voll einbeziehen, da wir uns nur in eine Richtung zu ein und der selben Zeit konzentrieren können. Wir können weder autofahren noch eine Wanderung genießen, wenn wir ständig auf unseren Bauchnabel oder Handrücken schauen. Man stelle sich vor, was passiert, wenn in einer Wohnhaussiedlung, wo der Strom von Haus zu Haus geleitet wird, plötzlich ein Haus auf die Idee kommt 'ab jetzt liebe ich mich selbst' und, anstatt den Strom weiterfließen zu lassen, ihn einfach behält. Zwar nicht genau so ist es, aber nicht weit entfernt: Wir sind Schaltstellen, welche die Kraft weiterleiten sollen, die sie bekommen! Denn - so individuell wir uns fühlen (und auch sind), trotzdem sind wir Teile eines ganzen, die konkrete Aufgaben darin haben. Unsere ursprüngliche wäre übrigens, durch unseren geistigen Ursprung kreativ-aufbauend hier auf diesem Planeten fördernd mitzuarbeiten, neue weiterführende Impulse zu setzen. Wie beschämend, wenn wir an unser aktuelles Verhältnis zu Natur denken!

Ein weiterer Punkt, den ich als heikel empfinde beim Sich-selbst-Lieben ist die darunter leidende Kritikfähigkeit. Sich selbst lieben bedeutet ja, daß man zu sich sagt: "Ich bin völlig ok, so wie ich bin. Inklusive aller Schwächen und Unrundheiten bin ich in Ordnung, meine Entscheidungen und Handlungen sind es ebenfalls, sind gut so, wie sie sind, denn ich konnte jeweils zu dem Augenblick nicht anders handeln, als ich es tat. Also habe ich, so gesehen, immer richtig gehandelt." Irgendwie komme ich mit dem Gegensatz nicht ganz klar, wie das funktionieren soll: Was ist, wenn ich z.B. ein aggressiver und rücksichtsloser Mensch bin, dem es ungeheure Genugtuung bereitet, andere zu unterdrücken. Da zu sagen "Ich liebe mich und alles ist ok, was ich tue"? Entschuldigung, da habe ich ein ernstliches Problem! Ich empfinde derlei Verschönerungen absolut gefährlich, weil damit effektiv falsche Handlungen legalisiert werden. Beim besten Willen: Die Handlung war falsch! Absolut und auch individuell betrachtet. Daß man sich deshalb nicht fertigmachen soll, ist eine andere Sache, ist sicher richtig, aber es rechtfertigt keine solchen Verfälschungen der Tatsachen. Auch daß die betroffene Person, die unter unserem Handeln leiden mußte, dies aus karmischen Gründen erleben mußte, um eventuell zu lernen, selbst in irgend einer Weise weiterzukommen, ist keine Entschuldigung für uns. Denn die Art des Tuns fällt unweigerlich auf uns zurück - in diesem Fall: Rücksichtslosigkeit und Brutalität.

Aber, wo ist nun der Pferdefuß oder besser: Was gibt es dann für eine Möglichkeit, um zu Selbstbewußtsein und Freude zu kommen? Wie kann denn eine Frau, die vielleicht eine sehr unschöne Kindheit hatte und dann in vielen Jahren einer Ehe nur immer funktionieren mußte, es schaffen, diese Last abzuwerfen? Die Lösung ist so einfach, daß man es fast nicht glauben möchte. Der Weg dorthin allerdings nicht unbedingt, aber dafür umso sicherer!

In der Inneren Stimme hast du es wieder kennen gelernt, dein buntes, frohes, wogendes und funkelndes Etwas. Es ist. Immer. Es ist immer und ewig in dir, ganz tief, untrennbar, es wird nach deinem Tod dich weiter begleiten und es kam mit dir auf diesen Erdenplan bei deiner Geburt. Es hat den weiten, weiten Weg von deiner Heimat weit dort oben bis hier herunter gemacht und stand dir immer zur Seite. Es kann dir in jeder Lage ein untrüglicher Wegweiser für richtige Entscheidungen sein. Es ist dein treuester Freund, denn es ist du! Nur - leider, eben... wir haben es jahrtausende lang mit Decken zugedeckt und so sickert bei vielen heute nur hie und da ein sehnsuchtsvolles Lichtfünkchen durch das verstaubte Leinen, so zaghaft, daß du es fast nicht merkst.

Und hier, bei deinem Inneren Stimmchen, hier beginnt dein Weg der Liebe. Doch es ist ein anderer. Du lenkst nicht deine Kraft auf dich zurück, sondern du öffnest deine eigene Liebe in dir! Du brauchst dich nicht darauf zu konzentrieren, daß du dich liebst, denn du bist selbst Liebe! Dieses wunderschöne Etwas, das besteht aus Liebe, deiner ganz persönlichen pochenden, frohen und alles umarmenden Liebe! Du brauchst dir keine Gedanken darüber zu machen, daß du dich lieben sollst, du brauchst nur DU zu sein! Deine staubigen Decken wegzureißen von diesem funkelnden Stern, nichts anderes zu tun, als ihn leuchten zu lassen. Das ist alles! Der Rest kommt von selbst!

Es ist ein ganz grundlegender Unterschied, ob ich meine Kraft auf mich zurücklenke oder die ja bereits vorhandene Liebeskraft in mir entdecke und nach außen lasse! Wenn ich versuche, mir zu sagen, daß ich wertvoll bin, daß ich es Wert bin, dies und jemes zu genießen, zu bekommen, daß ich fähig bin und mich wohl fühle usw., dann muß ich mich ständig an bestimmte Dinge erinnern und versuche sehr angestrengt , mich in eine Richtung umzupolen. Ständig muß ich versuchen, die Aufmerksamkeit, die bisher anderen, z.B. einem Partner oder Kindern galt, mir selbst zukommen zu lassen. Auf diese Weise glaube ich, daß ich mir selbst mehr Wert gebe und dadurch zu mehr Selbstbewußtsein und Glück käme. Aber das ist ein Trugschluß, der nur eine Zeit lang funktioniert und ständig mühsam wiederholt werden muß!
Wenn ich hingegen entdecke, daß ich nur ganz einfach die Zuneigung zu allem Lebendigen, die ich in mir drinnen habe, ja schon immer hatte, freilassen muß, dann ströme ich Liebe aus. Ich muß sie also nicht mühsam mir schicken, sondern ich bin sie ja selbst! Sie strömt aus mir heraus und wenn ich das fühle, dann erkenne ich ganz ohne etwas bewirken zu müssen meinen Wert, der ja schon immer vorhanden war und damit auch erreiche ich das wahre Selbst-Bewußtsein! Es ist kein konstruiertes, das ich mühsam aufbauen muß, indem ich mich auf mich konzentriere, sondern es ist das natürliche Bewußtsein, das ich selbst Zuwendung und Liebe bin. Ich bin selbst ein kleiner Teil Liebe, ein Fünkchen, entstanden aus der großen, allumfassenden Ur-Liebe. Und ich bin mir dann dessen bewußt. Selbst-bewußt. Das ist dann nicht das aufgeblasene falsche Selbstbewußtsein, das unschwer als Überheblichkeit entlarvt ist, sondern ein Selbstbewußtsein, das aber auch aus einem Teil Demut besteht. Demut dem Ort gegenüber, woher ich die Kraft erhalte. Und Liebe allem gegenüber, dem ich begegne.

Und wie macht man das? Ich glaube, daß jeder seinen eigenen Weg finden muß, jeder hat zu anderen Dingen eine gute Beziehung, auch zu Worten. Es geht einfach darum, wieder die innige Beziehung zu diesem Etwas aufzubauen, diese natürlichste aller Dinge, es zu umarmen und gern zu haben. So kann ich nur als Beispiel sagen, wie ich es für mich schön finde. "Mein liebes buntes, frohes und lebendiges Licht, tief in meinem Inneren, ich sehne mich, mit dir zusammen zu sein. Mit dir zusammen zu lachen und zu weinen, dich zu umarmen und mich von dir beschützt zu wissen in der größten Not. Ich bin so froh, daß ich dich wieder gefunden habe, hilf mir, daß ich dich nie wieder verliere!"

Man kann auch mit Bildern arbeiten. Stell Dir vor, daß Du bisher in einer Höhle gelebt hast, in der es dunkel ist. Die anderen, die Erfolgreichen lebten draußen im Licht. Du sehnst Dich auch nach Licht, danach hinauszukommen und konzentrierst Dich auf diesen Weg. Das ist ein mühsames Vorhaben, denn du kennst den Weg nicht, stolperst ständig über irgendwelche Steine. Du hast aber ein Licht in Dir! Wieviel weniger Arbeit ist es doch, einfach die Hüllen um dein eigenes Licht zu entfernen, daß es strahlt und alles rund um dich in Helligkeit taucht. Du gewinnst viel mehr dadurch, als durch den mühsamen Weg nach draußen: Du mußt gar nicht mehr hinaus, da du ja auch hier gut siehst. Wenn du aber hinaus möchtest, dann ist dein Weg gut erkennbar und wird kaum Mühe bereiten. Du brauchst auch keine Angst mehr zu haben, wieder ins Dunkel zurück zu gehen, denn du weißt ja, wie du damit umgehen kannst und zudem ist das Dunkel nicht mehr dunkel, sondern du erleuchtest es!

Wie gesagt, jeder muß seine Worte finden, seine Bilder, die für ihn stimmig sind! Seine persönlichen Zauberworte, um sein Fünkchen zu finden, seine Bilder von seinem Funken, von Harmonie und Freude. Seinen Zugang zu dem schönen, pulsierenden, farbenfrohen, leuchtenden, manchmal übermütigen und immer frohen Etwas!

Abschließend noch zu den sogenannten 'Fehlern', die oben erwähnt wurden. Was ist nun mit denen, mit unseren 'schwachen Seiten'?

Auch im Umspannwerk haben wir gesehen, daß unser Wollen uns mit dem, was wir wollen, also seinem Ziel, auch verbindet. So verbindet uns jeder wütende Gedanke mit der Wut und mit dem Ziel, auf das wir unsere Wut richten. Die Verbindung mit der Wut wiederum bewirkt, immer intensiver, je öfters wir es wiederholen, daß immer mehr Wut zurückkommt. Auf diese Art entstehen schlechte Eigenschaften (gute natürlich ebenso).
Lenken wir nun unsere Gedanken auf unser buntes und funkelndes Etwas in uns. Ich finde, daß es nicht schwer ist, nun festzustellen, daß die Eigenschaften (also hier etwa die Wut), nicht mit ihm selbst verbunden sind, sondern nur mit einer dieses schöne Etwas umgebenden Hülle!. Durch Anziehung der Gleichart verbunden! Sonst nichts! Unser innerer heller Kern strahlt völlig gleich, lediglich unsere Hülle, das Gewand, wird belastet, beschmutzt oder aber geschmückt.

Aus dieser Tatsache geht etwas ganz Wichtiges hervor: Die Eigenschaften hängen an uns, aber wir sind sie nicht, die Eigenschaft! Wir sind nicht die Wut, der Jähzorn, die Angst und Depression und all die anderen Eigenschaften! Sie hängen lediglich an uns! Und das ist ein ganz grundlegender Unterschied! Wenn wir das so sehen, dann erkennen wir auch, daß die Widersinnigkeit des Sich-selbst-Liebens inklusive aller miesen Eigenschaften ziemlich absurd ist und dieser Teufelskreis viel einfacher gelöst werden kann!

Was mir - und auch anderen - übrigens aufgefallen ist, daß Menschen, die intensiv sich um Selbstliebe bemühen, z.B. durch entsprechende Therapien, leicht dazu neigen, an Feingefühl für den anderen einzubüßen. Das kommt mir irgendwie auch logisch vor, denn damit richtet man ja das Augenmerk auf sich, statt die Liebe als Eigenschaft zu kultivieren! Die nach außen strahlende Liebe, die automatisch auch mir selbst Freude, Frieden und Leben bringt!

Nochmals: Wir sind selbst in unserem tiefsten Kern ein Funken individueller Liebe! Gut, schön, froh und bunt, funkelnd und interessant! Alle schlimmen Eigenschaften hängen lediglich an uns und wir müssen uns ihrer nur entledigen! Wie das geht, werden wir sehen.