Sein wie Wasser

 

Panta rhei - alles fließt.

Alles ist ständige Veränderung. Alles. Sogar Gebirge bleiben nicht gleich, nur ändern sie sich langsamer. Alles um uns ändert sich und in uns. Nach sieben Jahren sind wir physisch ein neuer Mensch, denn so lange benötigt es, bis alle Zellen erneuert sind. Bewegung ist oberstes Gesetz. Eigentlich ist es kein Gesetz, sondern es ist einfach. Man kann nichts daran ändern, niemand. Nicht dagegen kämpfen, nichts rückgängig machen. Alles fließt, immerdar und immer weiter. Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Wenn ich das in aller Konsequenz betrachte, dann wird mir klar, daß alles, was dem versucht, in irgendeiner Art entgegen sich zu stellen, ein Problem bekommen muß. Es wird von der Bewegung fortgezogen, bei Hartnäckigkeit zerdrückt. Entrinnen gibt es nicht.

Aber es ist nicht nur Bewegung und ständiger Fluß, auch was auf uns zukommt, das müssen wir nehmen, hin-nehmen. Natürlich können wir versuchen zu verweigern. Aber das bedeutet ungeheuer viel Kraft und letztlich erkennen wir meist, daß durch diese Verweigerung außer Kraft zu vergeuden nichts passiert ist. Immer wieder wanderten diese Gedanken durch mein Gemüt und langsam, ganz langsam spürte ich, wie ich immer mehr einem Fluß zu gleichen begann. Unmerklich begann die holprige Person, das Bild nach außen, zu verblassen, um einem fließenden, schimmernden Band zu weichen, als das ich wechselvolles Land durchziehe.

Ich träumte, ich wäre ein Fluß...

Mit meiner Geburt als Fluß-Bewußtsein beginnt allmählich alles sich zu ändern. Jedes, das mir begegnet bekommt eine andere Dimension. Und auch eine andre Wichtigkeit. Als ich noch als Menschenperson an einen Stein dachte, kamen Bilder von stolpern, klettern, darübersteigen. Das war jedesmal mit Mühe verbunden. Nun, als Fluß sind Steine für mich ganz anders. Ich umfließe sie. Umfasse sie von allen Seiten, betrachte sie dahineilend aus jedem Blickwinkel, flüchtig oder nachdenklich, je nach dem. Doch nie mehr bin ich gestolpert oder mußte über sie als ein Hindernis hinwegsteigen. Auch muß ich mich nicht mehr anstrengen, vielmehr teile ich mich, nehme sie kurzfristig in meine Arme um sie dann in die Vergangenheit zu entlassen. Wende mich Neuem zu, denn ich bin ein Fluß.

Als Fluß weiß ich, daß ich nirgends verweile. So habe ich auch kein Problem damit, etwas nicht loslassen zu können. Denn ich kann auch nichts festhalten. Nun, ich könnte schon und manches Mal tue ich es auch, in eiskalten Wintern, wenn ich an meiner Oberfläche zu Eis gefriere. Dann sind Äste und Blätter mein eigen. Doch ich weiß trotzdem, daß ich sie im Frühjahr, wenn das Licht der Sonne mir Bewegung gebietet, freigeben werde ohne Trauer.

Manches Mal gibt es Gewitter. Dann münden Rinnsale und Sturzbäche in mich und meine Farbe wird trüb und braun. Man sagt dann, ich wäre schmutzig, aber das stimmt nicht. Ich bin lediglich bereit, viele kleine Passagiere mitzunehmen. Meine kleinen Gäste, ja, die sind braun und grau, grün, rot und gelb manchmal und so sieht es aus, als ob ich trüb wäre, beschmutzt. Aber das stimmt nicht. Denn es sind nur meine Gäste. Wenn ich dann ruhig durch ein weites Tal fließen werde, von den Anstrengungen ausruhend, den wilden Sprüngen und gischtenden Gebärden, dann werden sie müde zu Boden sinken, sich hier und dort an Steinen und anderem niederlassen, eine Senke füllen. Und ich werde wieder sein wie vorher. Klar und durchsichtig und den Forellen zur Freude.

Als Fluß habe ich auch ständige Abwechslung. Den kühnen Sprung über die Klippen, der das Herz stocken läßt, sprühendes Zischen an der nassen Felswand, sammeln in enger Rinne und tosen im schmalen Tal. Danach kehrt Ruhe ein in der weiten Ebene und ich muß achtgeben, daß mein Wasser nicht in zu langsamer Bewegung zu faulen beginnt. Großzügig biete ich Booten und Schiffen meine Oberfläche zum Verkehr an. Doch auch wenn ich nur langsam mich nun bewege, so zeige ich den Menschen an meinem Ufer doch, daß ich nie der selbe bin. Und es gibt sogar manche, die es bemerken.

Irgendwann einmal wird dann der Zeitpunkt kommen, wo ich ein wenig müde durch die Mangrovenarme fließen werde und unmerklich zuerst wird in meinem Geschmack Salz zu spüren sein. Dann werde ich wissen, daß der Zeitpunkt naht, wo ich wieder mit meiner Heimat vereint sein werde, den unendlichen Weiten des großen Ozeans. Und dann, irgendwann, ich weiß noch nicht, wird ein neuer Kreislauf für mich beginnen, wenn ich gipelstürmend einen Wolkenturm erklimme, vielleicht als Hagelkorn zu Mutter Erde niederschieße oder als warmer Sommerregentropfen das Blatt des Mangobaumes netze. Ich werde die geheimen Kammern unsrer großen Mutter Erde durchwandern um tief unten reifend meinen neuen Lauf vorzubereiten. Dann wird der Tag kommen, wo ich rein und klar die junge Sonne begrüßen werde und ich werde mich vor Freude funkelnd in ein neues Abenteuer stürzen.