Das vertrackte Paar: Erwartung und Enttäuschung

Vor einiger Zeit reagierte eine gute Bekannte auf meine Ansicht zu Erwartungen folgendermaßen: "...Ich erwarte Höflichkeit, weil das eine lebenswert machende Grundvoraussetzung ist, ich erwarte Ehrlichkeit, wenn der andere an mir und meinen Gedanken interessiert ist. Und da gibt's noch einiges mehr, was ich erwarte, denn ohne diese grundlegenden Dinge ist Vertrauen nicht möglich...". So auf den ersten Blick - doch völlig in Ordnung oder?

Am Image der Erwartung zu kratzen kommt mir mittlerweile fast wie offenes Ketzertum vor. Die Reaktionen lediglich auf sanfte Zweifel an ihrer Sinnhaftigkeit liegen zwischen mildem Lächeln und Empörung. Wohl kein Wunder, ist es doch ein ehrwürdiger Begriff, dem auch der Zahn der Zeit nichts anhaben konnte. Im Gegenteil. Der Untertitel zu dem Buch "Ist das alles?" von David Brandt lautet 'Erfolg ist eine Frage der richtigen Erwartungshaltung'. Das Buch ist noch nicht so sehr alt, 'Erwartung' ist also kein alter Zopf, sondern ein durchaus modernes Instrument der Psychologen. Bald kam ich mir mit meinen offenen Zweifeln an der Erwartung vor wie ein unerwünschter Dieb, der rücksichtslos den letzten Anker stiehlt: "Wenn ich nichts erwarten kann, dann macht doch nichts mehr Sinn...!" - Verzweiflung. Klammern.

Zupfen wir doch einfach etwas an einem Zipfel des Lakens, auf dem 'Erfolg ist eine Frage der richtigen Erwartungshaltung' steht und sehen wir uns an, was so zum Vorschein kommt. Als erstes ist es unser zweiter Kollege aus dem Titel: Die Enttäuschung. Also: Heute werde ich mich in vorbildlich positiver Erwartungshaltung üben. Morgen wird laut Wetterbericht ein wundervoller Tag, das letzte Woche bestellte Buch ist ebenfalls für morgen versprochen, mit dem werde ich mich gemütlich auf die Terrasse unter den Sonnenschirm legen. Hmm.. In der Früh muß ich feststellen, daß sich der Wetterbericht geirrt hat - soll ja sogar heute noch ab und an vorkommen - und das Buch? Sorry - kommt erst am Montag... Tja - hätte ich mich doch nicht so gefreut. Dann wäre auch die Enttäuschung nicht so groß.

Wenn bei einer positiven Erwartungshaltung so etwas herauskommen kann, ich weiß nicht, irgendwo spießt sich's bei mir da logisch. Und wenn es sich logisch spießt, dann ist es an der Zeit, die Bühne zu erklimmen um schnell einmal nachzusehen, wer hier im Souffleurkasten sitzt oder vielleicht gleich dem Regisseur einen Besuch abzustatten. Die Frage steht im Raum und will geklärt werden: Ist Erwartung jetzt nun eine erstrebenswerte Eigenschaft, wenn ja, wie kann sie dann Enttäuschungen hervorbringen. Oder sind am Ende Enttäuschungen sogar etwas Wünschenswertes? Na ja, ent-täuschen, Täuschung wegmachen, Realität her? Ja, schon, aber der Zusammenhang? Man kann es drehen und wenden, ich finde einfach, es kombiniert nicht so recht, egal wo, ein paar Zentimeter Antwort fehlen immer.

Als erstes habe ich nun das Wort 'Erwartung' genauer unter die Lupe genommen. Es setzt sich zusammen aus der Vorsilbe 'er' und dem Verb 'warten'. Die Silbe 'er' hat für mich die Bedeutung des ER, des Schöpfungsgesetzes. Das läßt sich leicht nachvollziehen, wenn man nur ein paar Worte dahingehend untersucht: Erleben: Die Schöpfungsgesetze leben. Erkenntnis: Kenntnis der Schöpfungsgesetze. Erziehen: Näherbringen der Schöpfungsgesetze. Man kann das problemlos weiterprobieren, erfahren, erlernen, erschöpfen, erahnen und so weiter. Das Verb 'warten' drückt eindeutig Passivität aus. Ich warte auf etwas. Nehmen wir diese zwei Überlegungen zusammen, dann bedeutet 'erwarten' eindeutig ein Warten auf Schöpfungsgesetze.
Lassen wir das vorderhand einmal einfach so im Raum stehen und wenden wir uns dem zu, was unter dem Begriff landläufig verstanden wird. Erwarten bedeutet doch eindeutig ('positive Erwartungshaltung'), daß wir uns etwas in der Zukunft ganz konkret vorstellen, in diesem Fall positiv. Schöner Urlaub, netter Mensch, feines Essen. Die negative Erwartungshaltung setzt umgekehrt immer Schlechtes voraus. Erwartung wird also offenbar schon einmal mit Vorstellung verwechselt. Um die Überlegungen etwas abzukürzen, werfe ich einfach die Behauptung in den Raum, daß das, was wir mit 'erwarten' tun, nichts anderes ist, als 'vorurteilen'. Dieses negativ zu tun ist nicht modern, also macht man es positiv, also 'positives Denken'. Es ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir uns einfach ein falsches Bild von etwas in der Zukunft machen, das wir ja noch gar nicht kennen, das ganz anders kommen kann. Und das machen wir ganz bewußt auch noch. Im grellen Licht: Mit der sogenannten 'Erwartung' im heute üblich gebräuchlichen Sinn täuschen wir uns ganz bewußt. Ob positiv oder negativ, egal: Täuschung. Daß das Resultat dann natürlich das Enthüllen der Täuschung sein muß, also die Ent-täuschung, das liegt ja offensichtlich auf der Hand.
Schön, jetzt haben wir also die Erwartung als Sorgen und Leid erzeugendes, selbstbetrügerisches Vor-Urteilen enttarnt. Aber was ist Kritik ohne Lösung? So wie Mund aufmachen ohne zu reden. Es bleiben also noch die Fragen zu klären: Was sollten wir anstelle der Erwartung setzen? Und: Was ist denn nun Erwartung? Denn - und das kann man nicht wegleugnen - das Wort existiert nun einmal.

Beide Fragen könnte man in je einem kurzen Satz beantworten. Für beide Fragen könnte man je ein Buch schreiben. Wir stoßen damit in den ur-einfachen Basisbereich unseres Mensch-Seins vor. Und dieser ist wiederum unendlich komplex. Paradox? Einfach deshalb, da alle Fragen letztlich in sehr einfachen Prinzipien münden. Komplex, da die Vielfalt von uns Menschen unermeßlich groß ist. Letzteres behindert uns schließlich immer wieder darin, zu ersterem vorzudringen.
Ersatz der Erwartung. Als Mensch haben wir die einzigartige Fähigkeit, bewußt die Kraft, die wir vom Schöpfer bekommen, zu lenken. Lediglich diese Fähigkeit wird auch als der berühmte 'Freie Willen' des Menschen bezeichnet. Wir brauchen lediglich unsere Einstellung entsprechend auszurichten, daß sie in die als 'positiv' bezeichnete Richtung weist. Positiv im Sinne von Freude, Zuwendung, Behutsamkeit, Kraft oder auch als simpler Sammelbegriff von dem allen: Liebe. Liebe ist aber ein wenig sehr abstrakt, wir tun uns mit den konkreteren Teilbegriffen leichter. Es geht also darum, ein inneres Gefühl der Lebensfreude zu erzeugen. Dieses Empfinden, das wir aus dem Zustand des Verliebtseins kennen. Wie man das macht, das würde den hier zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen.

Was aber ist die echte Erwartung? Weiter oben sind wir zum Schluß gekommen, daß es sich um eine Kombination aus 'warten' und 'Schöpfungsgesetze' handeln muß. Wie läßt sich aber die unendliche Beweglichkeit der Schöpfungsgesetze mit dem passiven Warten in Zusammenhang bringen? Die Lösung ist nicht kompliziert. Wie im vorigen Absatz dargestellt, haben wir ja die Fähigkeit des 'Kräftelenkers'. Genau betrachtet haben wir aber nicht nur die Fähigkeit dazu, sondern den unabänderlichen Zwang. Wir können gar nicht anders, wir müssen es unablässig tun! Ständig, jede Sekunde, bekommen wir Gotteskraft, die wir ebenso augenblicklich weiterleiten (müssen). Der Mensch ist im Prinzip nichts anderes als ein Strahlungsknotenpunkt (oder besser Umspannwerk) mit der Fähigkeit des Lenkens der ihn durchfließenden Kraft. Allerdings kommt noch eine Gegebenheit dazu: Die weitergegebene Kraft kommt in ihrer Art durch Rück-Anziehung wieder zu ihm zurück, es herrscht der gleiche Kreislauf im Kleinen, wie in der gesamten Schöpfung im Großen. Wie der Wasserkreislauf im Menschen, der Erde. Wie jeder Kreislauf. Die 'Er-Wartung' bedeutet nicht weniger und nicht mehr, als das Erwarten der Rückwirkungen der von uns gelenkten Kraft, schlicht unseres Handelns.

Erwartung im herkömmlichen Sinne ist Starrheit, die Unfähigkeit, sich der jeweiligen Situation anzupassen. Sie ist Träumen in der Zukunft und zugleich die Gegenwart übersehen. Sie ist Verurteilen und Bauen von Fata Morganas, die uns unter immerwährendem Durst nie ans Ziel gelangen lassen werden. Deshalb ist der einzige Ausweg jener, der für alles als Lösung gilt: Sich voll und ganz der Gegenwart zu verschreiben und das mit gleichzeitiger Orientierung in die richtige Richtung.