Johanna

Es war einmal Johanna. Johanna war meistens ziemlich traurig, denn sie war nicht diese Art von Mädchen, nach der sich aller Köpfe wenden, wenn sie ein Kaffee betritt, nein, sondern eher der Typ, dem man einfach gar nichts zumutet. Dem gegenüber man im günstigsten Fall dieses leicht hochmütige Mitleid empfindet, das manche jenen Menschen gegenüber haben, denen es eindeutig nicht so gut geht wie ihnen, als diejenigen, die vom Schicksal begünstigt worden waren. Johanna spürte das jedesmal und das machte sie natürlich noch trauriger und niedergeschlagener und so verwundert es nicht, daß sie oft sich fragte, was sie denn auf diesem Planeten hier verloren hätte.

Eines Tages, das war m Frühling und zwar in dieser Zeit, wo uns der Winter schon den Rücken zugekehrt hat, aber noch bevor der Frühling wirklich da ist. Es war noch die Zeit, in der die Narzissen blühen, die Forsythien wie unablässig explodierende Feuersträuße die Gärten beleuchten, Veilchen und Schlüsselblumen zwischen zaghafte Grashalmen die zusammengedrückte Wiese mit ihren Lichtern aufmuntern, sich nun an ihr grünes Werk zu machen. An diesem Tag ging Johanna nach Hause, der Weg führte sie, wie jeden Tag, durch den Park. Es war ein weitläufiger Park und so hatte sie die Möglichkeit immer wieder einmal andere Wege zu nehmen. Heute nahm sie den, der an dem einen Teich vorbeiführt. Enten schwammen darin und zwei kleine Kinder rannten ihnen hinterher. Sie setzte sich auf eine der freien Bänke. Eigentlich hätte sie sich freuen sollen, denn die Sonne wärmte und ließ so den Sommer ahnen, der zwar noch bescheiden verhalten auf seine Zeit wartete, aber unverhohlen schon von sich fühlen machte.

Während sie so vornüber gebeugt da saß und ihre Gesicht in die Hände stützte, hörte sie Schritte ganz nahe und merkte dann an der leichten Erschütterung, daß sich jemand neben ihr auf der Bank niederließ. Sie dachte schon daran, einfach nicht hinzusehen und aufzustehen, aber dann schaute sie doch, wer das sein könnte, daß er nicht einfach eine der vielen anderen Bänke nahm, die auch frei waren. Es war ein alter Mann, den sie sah, auf den ersten Blick hätte man ihn wohl für einen dieser Tippelbrüder halten können, die man allerdings hier im Park selten sah. Aber als sie in sein Augen blickte, da fühlte sie eine ganz eigenartige Wärme und es war das erstemal seit Tagen, daß sie plötzlich auch etwas von der erwartungsvollen Freude des Vorfrühlingstages empfand.

Da griff langsam der Alte Mann in seinen abgetragenen Mantel und als er seine Hand daraus hervorzog, hielt er eine nagelneue Banknote mit einem hohen Wert in der Hand. Er blickte Johanna, die ganz schön staunte, lächelnd an und fragte sie: "Johanna, möchtest Du den haben?"
Sie war sehr verblüfft und brachte kaum heraus "j..ja!". Sie war so erstaunt, daß ihr gar nicht auffiel, daß er ja ihren Namen kannte.
Da nahm der Mann den Geldschein und zerknitterte ihn, machte eine Papierkugel daraus, knitterte hin und her, faltete sie wieder grob auseinander und fragte "Möchtest Du den Geldschein immer noch?"
Sie war noch verblüffter. Was wollte er denn? "Ja!" sagte sie nochmals.
Da nahm der Mann den arg zerknitterten Schein, warf ihn auf den Boden, wo gerade eine kleine Pfütze war und rieb ihn mit seinem Schuh auf dem schmutzigen Untergrund. Abermals nahm er ihn dann zur Hand und fragte das Mädchen: "Und nun... immer noch?"
"Ja!... aber..." wollte sie nun doch zu fragen beginnen, aber er begann mit seiner leisen, dunklen, leicht geheimnisvollen Stimme zu sprechen.
"Sieh, Johanna, Du möchtest den Geldschein immer noch, denn Du weißt, daß er seinen Wert behalten hat. Ob er ganz neu war oder nun beschmutzt und verknittert - er ist gleich viel Wert. In jedem Geschäft und überall."
Nach wie vor verwundert hörte sie ihm zu.
"Denk immer dran, wenn es Dir einmal nicht so gut geht, was Du eben erlebt hast, es ist eine wichtige Lektion in deinem Leben. Egal, wie jemand auch außen aussieht, ob groß oder klein, dick oder dünn, mit Sommersprossen im Gesicht, von gelber oder schwarzer Hautfarbe, in einem abgetragenen Mantel oder einem teuren Anzug, mit nach innen gekehrten Füßen oder schlanken Beinen, denen jeder nachsieht: Der Wert hat damit nichts zu tun. Du fühlst dich wertlos, aber egal, was auch passieren mag, du wirst deinen Wert nie verlieren. Dein Wert wird nicht danach gerichtet, was du scheinst, sondern danach, was du bist. Und im Gegensatz zu diesem Geldschein bist du zudem auch noch einzigartig!"

Damit streckte er den Arm in ihre Richtung, und gab ihr den Schein. Dieser war plötzlich wieder völlig neu, ohne Knitter und Schmutz, so, wie ihn der Mann aus der Tasche gezogen hatte. Ganz verdattert blickte sie darauf. Als sie aufblickte, sah sie die Enten, denen die Kinder hinterher liefen, die Wasserfontäne inmitten des Teichs, die bunten Flecken der wenigen Blumen in den Rabatten, der Mann jedoch war wie vom Erdboden verschwunden. Allein der Geldschein, der neue, in ihrer Hand bewies ihr, das es alles wirklich passiert war und kein Traum.