( Eigenhändig geklaut von: http://www.muenster.de/~gellern )
 
     
 

Der große Sender Freies Roxel Fortsetzungsroman

Mies fabuliert von: Rainer Gellern
Lieblos illustriert von: Rainer Gellern
Nachlässig korrigiert von: Rainer Gellern

Gewidmet ganz bestimmt nicht der hl. röm.-kath. Kirche

alle Rechte beim Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat GbR

Vorwort (heißt so, damit´s niemand liest)

Ich habe mir vorgenommen, ein Buch zu schreiben. Grund dieses Vorhabens ist eine Anzahl von nahezu unglaublichen Ereignissen, die in ihrem Umfang zu brisant für meinen kleinen Kopf sind. Das ist die Ursache, die mich dazu zwingt, sie in Form eines Buches niederzuschreiben. Genaugenommen sollte es ein Roman werden, aber da ich nicht den geringsten Schimmer habe, wie sich ein Roman schreibt, ist schon der Anfang zum Scheitern verurteilt. Ein Roman, der mit "Ich" anfängt?! Erste Person singular, wie egozentrisch. Genauso abwegig wäre es allerdings, in der ersten Person plural zu schreiben: "Wir haben uns vorgenommen, ein Buch zu schreiben." An dieser Stelle muß ich zugeben, daß ich soeben mein Buch aus der Hand legen mußte, um mich anhand eines Lexikons erst einmal über diesen Herrn Plural weiterzubilden.
Eine Seite hinter Plowdiw (bulgar. Stadt an der Maritza) finden sich zwei Pluräle. Natürlich, schließlich ist der Plural ja der Numerus der Mehrzahl. Vielleicht sollte ich mal unter S nachschlagen, um zu zählen, wie viele Singulare es gibt. Ja, das sollte ich tun! Einen Moment bitte......(Mach Dir mal einen schönen Nachmittag, indem Du mit Gleichgesinnten durch die Straßen Deiner Stadt ziehst und dabei der Reihenfolge nach die Wörter skandierst, die im Fettdruck in den oberen Ecken der Seiten Deines Lexikons stehen. Passanten werden sich sicher positiv und lobend über die Art Deiner Schulbildung äußern.)... Tatsache: es gibt nur einen Singular. Nein, Fehlanzeige, eigentlich gibt es zwei; oder besser: eine Steigerung des Singulars. Die geistigen Eltern des Singulars waren sich ganz bestimmt über die Härten des Lebens eines Einzelkinds im klaren, so daß sie ihm nachträglich einen großen Bruder zur Seite stellten. Na wahrscheinlich war´s mehr so ein Stiefbruder. Der große Bruder des Singulars heißt Singularetantum. Er paßt nun einzig und allein, besser  singulär darauf auf, daß niemand Wörter, die nur im Singular vorkommen, verschandelt, in den Dreck zieht oder böswillig deformiert. Beispiel: Adel, Obst, Gold. Vielleicht wäre es ganz spaßig, dem großen Singularetantum mal in die Eier zu treten. Also los, auf  Drei! Eins-Zwei-Drei: Mehrzahl von Adel = Adele oder Adels (bei Adels Zuhaus´). Mehrzahl von Obst? Obstler, Öbste. Mehrzahl von Gold? Zwei Gold. Oha! Schluß damit. Zurück zum natürlichen Feind des Singulars, dem Plural. (Eine sehr traurige Vorstellung. Ich fürchte der Singular kriegt ständig eins übergebraten, schließlich steht er alleine da, während der Plural gleich in der Mehrzahl anrückt. Also zurück zum Plural, wobei ich mich zunächst korrigieren muß: es gibt nämlich mehr als zwei Pluräle, insgesamt vier: den gemeinen Plural und seinen großen Bruder, den Pluraletantum. (Gut aufgepaßt? Dann versuch mal den Singular von Leute oder Ferien zu bilden. Ha! Sofort kommt der Pluraletantum um die Ecke und schreit Zeter und Mordio oder Schlimmeres.)
Wohin habe ich mich denn nach so kurzer Zeit schon verrannt? Ich werde mich wohl am Faden der Erinnerung durch das Labyrinth meiner Ideen zurückhangeln müssen. Jenun: In meiner Aufzählung der Pluräle will ich über die beiden Interessanteren berichten. Die Aufgabenstellung war ja diese, daß ich mich fragte, in welcher Form ich über das Erlebte berichten soll. Und siehe da, es haben sich schon vor mir kluge Geister Gedanken über diese Form gemacht. So gibt es zwei Formen, die möglich wären: den Pluralis majestatis (lat. "Plural der Majestät"), eine  Bez. für die Verwendung der ersten Person plural statt der ersten Person singular zur Selbstbez. regierender Herrscher ("Wir, Wilhelm von Gottes Gnaden dt. Kaiser"). Und es gibt den Pluralis modestiae (lat. Plural der Bescheidenheit) (Autorenplural), Bez. für die Verwendung des Plurals statt des Singulars für die eigene Person ("Wie wir früher gezeigt haben"), um die eigene Person zurücktreten zu lassen. 
Ich denke, den ersten Plural überlasse ich ruhig größenwahnsinnigen Despoten. Sollen die sich doch damit bloßstellen! Aber probieren wir mal diesen Pluralis modestiae aus. Ach was, der taugt auch nichts. Der ist mehr was für wimmernde, kleinwüchsige, feige Autoren. 
Die erlebten Ereignisse habe ich erlebt, nicht wir. Sie sind ferner von einer solchen Dringlichkeit und wurden nur einem winzigen Kreis von Eingeweihten zuteil, daß es nur logisch ist, in der ersten Person Singular zu schreiben. Außerdem hat sich der Leser schon seit den ersten Sätzen an diese Darstellungsweise gewöhnt. Ein Wechsel hätte jetzt einen längeren Umdenkprozeß zur Folge.
(Eine Seite hinter Plural findet sich das Wort Plusquamperfekt. Bedenke ich jedoch, daß ich schon seitenweise über den Plural doziere, so lasse ich dieses Plusquamschrammschramm besser links liegen auf diesem kurvenreichen Weg über die Zeilen.)
Somit sind alle Formalitäten geklärt, und ich kann mit der Aufzählung meiner Erlebnisse beginnen, die so folgenschwere Veränderungen brachten, mich noch heute so nachhaltig belasten, daß ich nicht umhin kann, das Erlebte niederzuschreiben, in der vagen Hoffnung, einen Leser zu finden, der mit mir die Last meiner Sorgen teilt.
Diese schriftliche Form der Erinnerung ist ebenso die Reaktion auf zahllose nutzlose Gespräche mit Menschen, denen ich meine Geschichte nahebrachte. Hätten sie nicht in der Mehrzahl mit blankem Unverständnis reagiert und wäre nur ein Bruchteil meiner Worte ohne Kopfschütteln aufgenommen worden, so bräuchte ich diese Zeilen nicht niederzuschreiben. Ich habe mehr als einmal versucht, Freunde, auch sehr intime Freunde, in meine Geheimnisse einzuweihen, mit dem Fazit, daß sie mir nicht glaubten und sich schlimmstenfalls von mir abwandten.
(Doch nun genug des Selbstmitleids, es ist Zeit zu beginnen.) (Wenn das hier noch ein Buch werden soll, sollte ich mit den Klammern aufhören!) (Eine noch!) (Und noch eine!) (Vielleicht sollte ich einfach eine Klammer aufmachen und am Ende des Buchs wieder zu, das wäre dann eine Art Endlosschleife oder Ursupatorklammer...)(

1. Kapitel: Day in, day out

Zeit meines Lebens lebe ich in diesem westfälischen Oberzentrum Münster, einem Freilichtmuseum von Stadt. Das soll durchaus keine negative Wertung sein. Nein, ich fühle mich in dieser Stadt wohl wie ein Bär in seiner winterlichen Höhle. Genauso geruhsam läßt es sich hier leben. Man sagt meinen Mitmenschen hier einen gewissen Hang zur Behäbigkeit nach. Etwas, was sie mir nur liebenswerter erscheinen läßt. Es lebt sich hier wie im Auge eines Orkans. Gleichsam beständig verläuft das Leben meiner Stadt. Zeugnis ihres unerschütterlichen Gleichmuts gaben seine Bewohner, als sie die in zahllosen Detonationen der Bombennächte des letzten großen Krieges atomisierten Häuser ihrer Stadt so wieder herrichteten, als sei nichts geschehen. (Viele vergaßen darum auch, was geschehen war). Original bis ins klitzekleinste Detail steht nun alles wieder da, eben ein taubenverschissenes Freilichtmuseum.
Der Vorteil der Sturheit dieser Menschen ist der, daß man sich, als ein so lethargischer Mensch wie ich, durch eine Art Mimikry prima zwischen ihnen aufhalten kann. Ouha, sollte ich mich da eventuell als Opportunist entblößt haben?! Gottlob bin ich noch soweit geistig rege, daß ich einen offenen Disput nicht scheue, zumal sich in dieser Gesellschaft viele Knackpunkte bieten. Ich bräuchte mir nur einen Burschenschaftler greifen , ihn schütteln und rufen: "Ich pinkel Dir in Dein Bücherregal, Du dreckiger Revanchistenarsch."  Schon wäre eine feine politische Diskussion im Gange. Ich fürchte, daß es dabei in Folge weder bei ihm noch bei mir zu einer positiven Meinungsbildung kommen würde. Ich täte das also nur, um zu beweisen, daß ich eben kein Opportunist bin. So ähnlich würde ich es dem Burschenschaftler auch erklären, sollte sich unsere Zwiesprache denn in einer Sackgasse befinden. Der würde sagen: "Ach, wenn das so ist...", würde sein saublödes Käppi zurechtrücken, an seiner verschwitzten Schärpe zupfen, mit seinem Säbel klappern, um Zünftigkeit zu beweisen und dann hoffentlich verschwinden. Ich würde wohl noch so was denken wie "Scheiße fressen!" oder ihn vor meinem geistigen Auge treten. Aber das tue ich immer, wenn ich Burschenschaftler sehe, von denen es in meiner Stadt so viele gibt wie anderswo Ratten.
Wenn ich schon bei der Selbstdarstellung bin, sollte ich dem Leser auch alles offenbaren. Also: Mein Geschlecht ist männlich und von zufriedenstellender Größe. Ich bin Mitte zwanzig und trage mein dunkles Haar mittellang. Eingerahmt von herzhaften Lachfalten und einer obligaten Sehhilfe blinzeln zwei angeblich hübsche, braune Augen ins Leere, deren Schönheit jedoch wenige Zentimeter tiefer von einem Doppelkinn und reichlich gelben Zähnen  kompensiert wird.
Mein Charakter läßt sich als herzensgut, aber völlig disziplinlos beschimpfen. Mein vorheriges Leben in wenigen Worten: Nach einer chaotischen und wenig erfolgreichen Schulausbildung, deren Abschluß, die "Hochschulreife", ich mir gegen Ende irgendwie erschlich, lungerte ich zunächst zwanzig Monate im Auftrage Vater Staats im Krankenhaus herum und stellte dumme Fragen. Sowas nannte sich damals Zivildienst, war im Großen und Ganzen wenig zivil, jedoch immer noch ziviler als das völlig sinnfreie Soldatentum, womit der Name Zivildienst doch schon irgendwie taugt.
Im Anschluß versuchte ich eine erfolglose berufliche Exkursion ins grafische Gewerbe; erfolglos nicht aus mangelndem Können heraus, sondern wegen meines herzensguten, ehrlichen Charakters, der in dieser Branche scheinbar wenig gefragt ist. So entschloß ich mich im Laufe der Jahre für ein Studium einer der Naturwissenschaften, von denen ich ungefähr soviel verstand wie der Papst vom Kindermachen (Ich bewies auch ungefähr dessen Lernfähigkeit darin). Hemmschuh beim schnellen, zielstrebigen Vorankommen in meinen Studien ist nicht zuletzt mein großer Freundeskreis und die uns gemeinsame, hiesig oft anzutreffende Lust am Saufen.
Warum auch schnelles Vorwärtskommen? Warum machen sich nicht viel mehr Menschen bewußt, wie wenig es doch zum Leben braucht! Ein Dach überm Kopf, ein Bett, etwas zu Essen und eine Liste zehn wichtiger Dinge, die sich jeder Leser selbst aufstellen mag.
Nichts ist schöner als ein geruhsamer Weg durchs Leben, nichts dümmer als bornierte Zielstrebigkeit.
Was macht man denn da am Ziel? Gibt es überhaupt einen Fixpunkt wie ein Ziel oder handelt es sich nicht eher um eine Art mobiler Phase, der man endlos hinterherrutscht? Einem Gel, das in den Händen zerrinnt, das man sich vielleicht hilflos ins Gesicht schmieren kann. Aber ich frage mich ernsthaft: Wie, um Gottes willen sieht man denn dann aus? Was macht man mit dem erreichten Ziel? Ein neues suchen? Wortwörtlich eins höherstecken? Sterben? Sind meine Ziele überhaupt die richtigen? Und was schwerer wiegt: Wieviele Menschen erreichen ihr Ziel nicht?! -Scheitern,-Verlieren,-Versagen?!- Wer macht die wieder glücklich? Ach was, denen geht es ja noch glänzend im Vergleich zu denen, die niemals eine Chance hatten, sich ein Ziel zu setzen. Gibt´s nichts Unwichtigeres als persönliche Ziele. Gäb´s nicht wesentlich viel mehr glückliche Menschenskinder, wenn man ihnen sagen würde: "Hey, nimm Dich selbst nicht zu ernst!" oder "Du mußt lernen, mit Schicksalsschlägen zu leben! Du wirst wesentlich öfter verlieren als gewinnen!" Oder "Fang schon mal an zu üben! Ich nenn Dich Arschkrampe, und Du bedankst Dich dafür!".
Fazit: Drehen wir den Knopf der eigenen Zielstrebigkeit auf "Null". Lassen wir uns treiben und lesen (schreiben) wir weiter.
Ziel meiner Aufreihung ist die Schilderung meiner Person, was für´s Erste, wie ich meine, schon ganz gut geklappt hat.
Nun ist es Zeit zu beginnen:
Stell Dir vor, es ist ein Herbstabend, ein knackig kalter, feuchter Herbstabend, dessen Kälte Dir in Deine Glieder zieht. Es ist nebelig, kurz nach zehn Uhr abends und stockfinster. Ich liebe solch ein Klima.
Den Sommer kann ich nicht leiden. Brütende Hitze macht mir dann die Glieder und das Denken schwer. Die Sonne brennt auf der Haut und in den Augen. Das Atmen wird flach und flacher. Wenn dann noch eine Horde alberner Gleichaltriger vorbeikommt, voll Schweißgeruch vom hirnzerstörenden Sonnenbad, hektisch tut und sich über das "schöne Wetter" freut oder drüber wie "schön braun" doch alles wird, rufe ich: "Zum Baggersee mit Euch, Ihr Kroppzeug. Laßt euch Euer Hirn wegbraten", ferner: "Schön ist ein Wetter nicht, wenn ich drunter leide, und braun sind die Hemden eurer Großeltern". Dann denke ich mich in die klamme Behaglichkeit eines Herbstabends, eben einen solchen wie den, von dem ich jetzt berichten will.
Meine Stadt bietet übrigens den Vorteil, daß sie für solcherlei ruppiges Wetter prädestiniert ist. 
Ein weiterer Grund, mich hier wohl zu fühlen, ist daß ein Teil seiner Bewohner die vermeintlichen Vorteile des Automobils strikt ignoriert und als einzig wahres Fortbewegungsmittel das Fahrrad akzeptiert und benutzt, so auch ich an diesem Abend. Rekapitulieren wir die Ausgangssituation dieses Buchs: Ich schreibe in der ersten Person singular, es ist Herbst, es regnet, ich fahre Fahrrad.
Ein antikes Rixe-Herrenrad mit langem Oberrohr, Ledersattel, chinesischer Klingel, schwarzem Lack und einem surrenden Dynamo, der meinen abblendbaren Scheinwerfer zum Leuchten bringt. Meine Haltung ist aufrecht, das Tretlager rotiert reibungsarm, und das Rücklicht ist defekt. Ich liebe dieses Fahrrad. Jedes Teil ist individuell von mir ausgesucht und angebaut worden. Alle anderen meiner Räder hat es über Jahre überlebt: Zwei nutzlose, wenig robuste sogenannte "Mountain-Bikes", ein Rennrad, ein Tourenrad. Alles erwies sich als Schrott. Nur mein altes Herrenrad verbindet Robustheit mit sportlicher Eleganz. -Der Markenräder Spitze, das ist ein Rad von Rixe.-
Ähnliche Liebe zum Qualitätsbewußtsein vorheriger Generationen beweise ich auch bei der Wahl meiner Kleidung. Sie ist ererbt, gebraucht zugelegt oder höchst preiswert erstanden. Sie erzeugt fortwährend  einen Eindruck unterschwelliger Nonkonformität genauer: Lässiger Zerstreutheit.
Der Witterung entsprechend trage ich (von oben nach unten): Eine von der Großmutter für irgendeinen Verwandten väterlicherseits gestrickte, schwarze Wollmütze. Über meinem Leibchen trage ich ein derbes Hemd (gebraucht), darüber einen schwarzen Wollpullover (erschlichen), darüber wiederum eine kurze, braune  Lederjacke, deren linker Ärmel zur Hälfte so abgerissen ist, daß er nur noch locker an der Schulter hängt (ebenfalls gebraucht). Ein in Achselhöhe abgerissener Ärmel verhindert zwar ein übermäßiges Transpirieren meines linken Armes, könnte aber im Alter zu Rheuma führen. Zur prophylaktischen Abwendung rheumatischer Beschwerden trage ich über der Lederjacke noch eine grobe Jeansjacke (schwarz, relativ teuer, jedoch über fünf Jahre alt). Eine knappe U-hose verhindert leider nicht ein leichtes, schmerzhaftes Frösteln meiner jetzt sehr schrumpeligen Gonaden. Über meine Schenkel habe ich eine zugige Nieten-Baumwollhose geschlenzt (schwarz, mit Beulen), Socken, natürlich. Ein paar braune Wildlederschuhe schützen meine Füße vor Feuchtigkeit. Ein netter Professor empfahl sie mir während einer Exkursion ins spanische Küstengebirge. Meine alten Stiefel hatten diese boykottiert, indem sie damals auf zweitausend Metern Höhe eine Sohle verloren. So mußten wir, dreizehn Studenten, zwei Professoren, die lange geplante Wanderung abbrechen, in einen nahegelegenen Marktflecken umkehren und Schuhe kaufen. "Only twenty Deutschmarks! The japanese army wore them during the second world war," pries mein Professor das einzig erwerbbare Paar Schuhe an. "Fine, but they lost that war," antwortete ich. Irgendwie hatte ich da den Eindruck, daß der Gute im Folgenden etwas sauer war. Zur Sühne trage ich diese Schuhe nun immer noch.
Um ehrlich zu sein wirkt meine Kleidung so, als könnte ich mein nächstes Bier nicht mehr zahlen. Widme ich mich also besser wieder dem Radfahren.
Du, lieber Leser, sollst an dieser Stelle nicht glauben, daß das Radfahren eine sportliche Marotte ist, ein Faible, schrulliges Hobby oder Zeitvertreib. Nein, schon früh habe ich mich von der Nutzlosigkeit eines eigenen Autos überzeugt und es damals schnell wieder abgestoßen. In meiner Stadt benutze ich nun, wie zehntausende Anderer auch, das Fahrrad als tägliches Transportmittel. Seinen Platz neben oder besser vor dem Auto werde ich mir notfalls blutig erkämpfen. Nichts ist schöner, als einem armen, gestauten Autofahrer im Vorbeifahren aufmunternd aufs Dach zu klopfen. Hei, wie der sich erschrickt. "Komm heraus aus Deiner lärmgedämpften Zelle, lerne hinzunehmen, daß jemand Deinen Fetisch berührt, beweg Dich, tue den ersten Schritt weg vom Auto, Du bist nicht allein!" Das, in ungefähr, wären wohl die Worte eines alternativen Oberstudienrats für Physik und Reli. Ich jedoch würde mich wohl nicht so geschwollen, eher hart und schmutzig ausdrücken und hab´s außerdem heute eilig.
Geben wir (Pluralis modestiae) meiner Radtour einen Anfangs- und Endpunkt, ergo eine Richtung. Anfangsort ist die Stelle der Tätigkeit meines Broterwerbs, Endpunkt wird die Negation des Geldverdienens mit sich bringen: der abendliche Kneipenbesuch. Flink wie eine Mehlschwalbe fliege ich zwischen den Häusern meiner Stadt umher.
Radfahren läutert den Verstand, gibt Dir Gesundheit, heitere Gelassenheit und einen strammen Po (zur Erbauung weiblicher Blicke). Du wirst Dir Deiner Ausdauer bewußt und lernst die Elemente zu lieben, indem Du ihnen trotzt. Mit einiger Übung redest Du mit dem Wind. Solcherlei Träumereien nachhängend erreiche ich den "Schluckspecht" (der heißt wirklich so und ist ein toller Name für eine Kneipe in der Realität. In einer fiktiven Geschichte würde man "Schluckspecht" jedoch für eine alberne Effekthascherei eines senilen Autors halten. Mein "Schluckspecht" ist jedoch so reell, wie ich ihn nur wahrnehmen kann).
 Für Auswärtige: Der "Schluckspecht" befindet sich in der Jüdefelderstraße, ist dezent beleuchtet und bietet angenehme Unterhaltung bei moderater musikalischer Beschallung in Staubsaugerlautstärke (Hoover, 1968, Lagerschaden).
Drinnen warten auch immer ein paar nette Kumpane auf Dich. Johlend heißen sie Dich an, an ihrer Kumpanei teilzunehmen. Genauso johlend bestellst Du Dir den ersten Halben und schiebst Dich vermittels eines angeberisch vorgestreckten Bäuchleins in eine Ecke. Weitere Schilderungen werde ich dem Leser erstmal vorenthalten. Ich habe hier etwas Zeit, zu erwähnen, daß ich trotz anachronistischer Kleidung, Fortbewegungsmittel und rüdem Umgangston durchaus ein Kind des späten ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts mit seinen Videorekordern, Faxgeräten, Großrechnern, Fernsehern, Fernreisen bin. Vielleicht ist der Grund für mein Vorliebe für alles Alte, Derbe, Gebrauchte eben eine Absage an die Wichtigkeit dieser Dinge. Nun, ich benutze viele dieser Dinge, aber essentiell sind sie alle nicht. Mach Dir das jeden Tag klar! Generationen von Menschen mußten ohne Funktelefon leben, verpassten ohne Video die wichtigsten Fernsehsendungen, konnten sich keine Werbung faxen und sich nicht auf Fernreisen selbsterfahren (Wer meint, sich auf Fernreisen, möglicherweise auch noch in Hungerländern, selbstverwirklichen zu müssen, verwirklicht sich als Arschloch! Hiergeblieben, trag Dein Kreuz selber, Du Göre! Denk an die armen Schweine, die sich nicht mal Deine bunten Trekkingschühchen leisten könnten). 
Apropros Schweine, machen wir eine kurze Stippvisite im "Schluckspecht", einen kleinen Sprung über vier Halbe hinweg und sehen wir zu, was passiert (pluralis modestiae, da war er wieder!).
Meine Laune ist auf dem Höchstpunkt, meine Augen glänzen, die Wangen glühen. Soeben beginnt Tom, ein guter Freund von mir, eine Diskussion über den Wert einer 16 mm Tonfilmkamera zur Realisation eines sehr schönen, weil sinnfreien Filmprojektes. Wir rauchen, bestellen uns zwei Halbe und fachsimpeln angeregt die nächste halbe Stunde über dieses Thema. Zeit, sich wieder auszublenden. 
Vier schwere Halbe später: Mein Blick ist glasig, die Laune glänzend, nur habe ich leider ein wenig den Kontakt zur Außenwelt verloren. Ich bin geistig geschrumpft. Mein Geist sitzt circa fünf Zentimeter groß in der hinteren Schädelecke herum und betrachtet interessiert die fahrigen Bewegungen meines Körpers durch die Scheiben meiner Pupille. Dort, im Halbdunkel sitzend, rät er mir, jetzt besser zu gehen. Ich verabschiede mich in einer mir noch möglichen Art mit "Wieherschen" und ernte ein kollektives "Wieherscheeen". Na fein, Zeit zu gehen! Ich öffne mein Fahrradschloß, schließe es versehentlich wieder ab, und öffne es dann endlich ganz. "Das Schloß bloß nicht wieder über die Schulter wegwerfen, wie das letzte Mal!" denkt sich mein Geist. Mit einigem Bandenspiel an den Autos schaffe ich den Weg aus dem Kuhviertel. Ich überquere den Ring, die kalte Luft macht mich nüchtern. Um in meinen Ortsteil zu kommen, muß ich circa fünfhundert Meter über eine unbeleuchtete Landstraße. Ich liebe diesen Anachronismus. Fünf Minuten mit dem Rad, und ich stehe zwischen Wäldern und Wiesen.
Die Luft ist hier so klar, daß man die Sternbilder sieht, heute jedoch ist es neblig. Ich bleibe mehr schlecht als recht auf dem Fahrradweg. Auf der Höhe des Ausläufers eines kleinen Wäldchens zur Rechten, nähern sich von vorne zwei Scheinwerfer. "Scheiße, die Bullen!" denke ich, aber das denke ich immer, wenn mein Rücklicht im Eimer ist. Dabei wäre ein Streifenwagen jetzt das kleinere Übel gewesen: Der Wagen schaltet sein Fernlicht ein und hält auf mich zu. "Du Sau!" brülle ich geblendet. Das muß der Fahrer wohl gehört haben, denn er benutzt nun mit seiner linken Fahrzeugseite auch noch den Radweg, wobei er reihenweise Begrenzungspfosten aus Plastik umnietet. Ich schlingere, rufe "Gottverfickte Scheiße!" und segele in den brusttiefen Straßengraben. Ich hör´s noch hupen und sause dann mit der Fontanelle auf einen Feldstein. 
Als ich zu mir komme, denke ich zuerst "Na fein, immer dasselbe!". Dann denke ich auf einmal ganz schnell "Ouauaha!", fummel an meinen Beinen herum und ziehe mir fünf Zentimeter einer Edelstahl-Fahrradspeiche aus der Wade. Als ich versuche, die Böschung hinaufzurobben (natürlich auf der falschen Seite), bemerke ich, wie sich auf der richtigen Seite zwei Schatten aus dem Wald lösen, die Straße überqueren und auf mich zugehen.

Fortsetzung folgt.... (...e leider nie)