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Was
für ein Gefühl, die ersten Meter die Rampe hinunter in den griechischen
Sonnenschein!
Wir
stellen kurz ab, um zu überlegen, wie es weitergeht. Die drei Anreisebegleiter
haben im Sinn, sich hier in Igoumenitsa ein paar Tage aufzuhalten. Hartwig
war schon öfters in Griechenland, Freddy einmal und Hannah noch nie.
Hartwig, dem sein Haudegen-Image gut gefällt, hat den Helm auf den
Rucksack geschnallt, später erfahre ich daß in Griechenland
die Helmpflicht nicht so ernst genommen wird. Das wäre auch sehr
ungriechisch. Seine Africa Twin hat auch einen zum Gesamtbild passenden
guten Spruch und so blubbert er uns nun durch Igoumenitsa voran. Es geht
kurz nach Norden auf die Landzunge hinaus, wo ein Campingplatz auftaucht
und eine kleine Strandkneipe. Mit knapper Müh und Not kann ich noch
mit einer Hand meine losen Packstücke festhalten bis wir nun auf
einem Platz unter einigen Föhren absteigen. Neben uns ein österreichischer
Truck, dessen Treiber gleich herüberkommt und erklärt, daß
auch er ein Motorrad zu Hause habe. Ein verwegenr Kaiser-Franz-Josf-Bart
ziert wie Stierhörner seine Oberlippe, der Cowboy springt aus jeder
Pore.
"Ha ha", meint er, auf den Tiger Akbar deutend, "eine Goldwing
als Bausatz" und lacht selbst als einziger über seinen Witz.
Fehlt noch, daß er sich vor Vergnügen auf die Oberschenkel
haut. Dann kramt er Fotos von seinem Cabrio heraus und ich beginne ihn
zu verstehen: Auf dem Foto ist auch eine Wing, aufgetakelt wie eine -
naja, lassen wir das. Dann schau ich noch ein zweitesmal drauf ... tatsächlich
... das Top Case oben ausgeschnitten und es schaut ein weißer Pudelkopf
heraus. Ich hoffe, daß ich niemanden persönlich treffe, aber
diese Kombination ist schon etwas starker Tobak. Für den Pudel natürlich.
Denn: Wie leicht bekommen Hunde durch Zugluft Augenentzündung. Oder
bekommt er während der Fahrt eine Fliegerbrille ab?
Schließlich habe ich nach kompletter
Demontage und einem völligen Neuaufbau die Instabilität meines
Gepäcks behoben und wir schlendern hinüber zur Taverne. Auf
die Karte habe ich auch schon geschaut und mich entschlossen, heute noch
ein paar Kilometer unter die Reifen zu bringen. Wir tauschen noch kurz
Adressen aus und ich stapfe zurück zu meinem Bausatz. Tz.. tz...
Das Gefühl, lieber Leser, es ist unbeschreiblich!
Zwar war ich vor rund 35 Jahren schon mal in Griechenland, aber das zählt
jetzt nicht. Heute ist demnach Premiere! Fast lautlos gleitet die F6 die
Hafenpromenade von Igoumenitsa entlang, wieder vorbei an der Anlegestelle
und dann weiter den Bogen der gegen Westen leicht ansteigt. Jetzt merke
ich, daß ich es unmöglich ausgehalten hätte, länger
zu sitzen oder gar über Nacht zu bleiben! Diese Kilometer zergehen
mir auf der Zunge wie das erlesenste Gericht auf der eines Gourmets. Südliche
warme Luft streicht über meine Arme umspielt mein Gesicht mit einer
- hört ruhig weg, wenn es Euch zu kitschig vorkommt - sanften Zärtlichkeit.
Die Sonnenstrahlen des Nachmittags gleiten wärmend über die
Haut und unter mir fließt der Asphalt dahin, der alles rauhe, vulgäre
verloren hat und mir wie ein schwarzes Samtband erscheint. Mit maximal
80 km/h sauge ich Meter für Meter in mich herein, kaum zu übertreffender
Hochgenuß. So rolle ich die Küste hinunter. Keinen Termin im
Nacken gleite ich dahin, nach Igoumenitsa nur mehr kurz an der Küste
entlang, dann durchs Landesinnere, mäßig Verkehr, sogar wenig,
möchte ich sagen.
Nach einer Wile bleibe ich stehen, ein Blick
auf die Karte zeigt mir, daß rechts eine kleine Straße zum
Meer führt. Da genug Zeit zur Verfügung steht, bieg ich ab und
gelange so wieder ans Meer. Nach einer Weile eine Kurve und der Blick
trifft geradewegs auf ein malerisches Dörfchen, das sich in eine
kleine Bucht schmiegt, vom Hafen ansteigend den Hang hinauf. Schön!
So habe ich mir Griechenland vorgestellt! Später werde ich dann von
anderen hören, daß Parga - vor allem in der Vor- oder Nachsaison
- sehr idyllisch sein soll und sich auch gut als Stützpunkt für
dieverse Fahrten in die Umgegend eigent. Ich denke, hier dem nettesten
Ort Griechenlands begegnet zu sein, aber es ist nur eine von unzähligen,
immer wieder verblüffenden Märchenbuchseiten, die noch folgen
sollen.
Nach
einer Miniaturrundfahrt durch den Ort geht es wieder zurück auf die
Sraße nach Süden. Nach ziemlich einigen Kilometern an schönem
Strand entlang entschließe ich mich doch zu einem kleinen Erfrischungshalt.
Schwupp, rechts runter von der Straße und ich stelle Akbar keine
zehn Meter vom Meer entfernt auf seinen Ständer zur Ruhe. Schuhe
aus, Hose mit Badehose vertauscht und schon umspült mich das saubere
Salzwasser. Erfrischend und doch nicht zu kühl, so ungefähr
wie bestellt. Anschließende Trockenpause mit Blick übers Wasser
der Sonne entgegen, die nun schon dem Horizont um vieles näher gekommen
ist, etwas die Zehen in den Sand bohren um nach einer Zeit gemütlich
aufzustehen und die Weiterfahrt vorzubereitens. Für jeden Handgriff
lasse ich mir gemächlich Zeit und genieße es, unrationell das
gleiche Stück auch durchaus dreimal hintereinander in die Hand zu
nehmen. Ein wenig umpacken hier, etwas wo anders hinstecken dort. Ist
Trödeln doch was Schönes! Mit Muße entferne ich die Sandkörnchen
von meinen Zehen, bevor ich in die Turnschuhe schlüpfe, die Stiefel
hingegen werden neben den Rucksack geschnallt. Schließlich ist es
so weit. Mit etwas Schwung das Schotterstück wieder hinauf auf die
Straße und weiter geht es gegen Preveza.
Nun
muß ich hier etwas anmerken. Die Karte, die ich von zu Hause aus
mitgenommen habe, ist vom Maßstab her nicht besonders ausführlich,
1:500.000. Und das ist eindeutig zu ungenau, wie sich bald und auch am
nächsten Tag herausstellen wird. Preveza taucht vor mir auf, laut
Karte scheint es eine Brücke über den kleinen Bach zu geben,
der den Binnensee verläßt. Naja... Ich rolle in den Ort hinein
und die Straße hört auf. Rechts weg komme ich der Küste
wieder näher und dann biegt es gleich wieder nach Süden ab.
Meine Augen suchen ständig nach der Brücke und es behagt mir
gar nicht, daß die Straße plötzlich nach Osten und dann
gar wieder nach Norden führt. Als ich dann noch ein Schild mit Ferry
Boat sehe, weiß ich, daß der Kartenmaßstab mich an der
Nase herum geführt hat.
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- 2 -
Vor der Anlegestelle stehen schon zwei Schlangen
Autos. Wie ein falscher Maßstab täuschen kann, das erkenne
ich jetzt in seiner vollen Tragweite: Die Meerenge ist immerhin rund einen
Kilometer breit. Ich schlängle mich auf der linken Spur so weit nach
vorne, daß nur noch etwa fünf Autos vor mir sind. Rechts, neben
der zweiten Reihe erblicke ich einen Stand, an dem es alles gibt: Ansichtskarten,
Zigaretten, Kekse und Getränke. Inmitten des bunten Allerlei sehe
ich aus dem kleinen Fensterchen eine Hand herauswinken, die mir bedeutet,
daß ich doch näher herüberfahren solle. Also wurstle ich
mich noch ein Auto weiter vor, um in die rechte Spur zu kommen. Hinter
der Winkehand ist nun ein schwarzer Wuschelkopf erkennbar geworden. Aus
dem riesigen Kühlschrank rechts davon ziehen mich blaue PET-Flaschen
mit Wasser magisch an. Kaum bin ich etwas näher gekommen, beginnt
der Wuschelkopf auch schon zu reden, griechisch, versteht sich oder besser:
Versteht sich eben nicht. Und englisch kann er so gut wie gar nicht. Das
soll aber der Kommunikation kaum Abbruch tun. Auf non-verbaler Ebene erfahre
ich schnell, daß er eine Ninja besitzt, er von hier nach hier weniger
als zwei Stunden braucht - wobei ich weder hier noch hier kenne, aber
die Leistung sicher beachtlich ist - daß 200 km/h kein Problem sind
und einiges mehr. Zwischendurch gelingt es mir mühsam, eine Wasserflsche
zu erstehen. Wie ich weiß, daß er 200 und 2 und so weiter
meint und nicht vielleicht 16 und 88? Als der schwarzköpfige, als
Kioskverkäufer getarnte Rennfahrer bemerkt, daß ich noch weniger
griechisch kann als er englisch, beginnt er, kritische Angaben, wie eben
Zahlen, mit einem Kuli auf seine Handinnenfläche zu schreiben. Als
ich dann gehen muß, ist seine Hand innen durchgehend blau.
Aus dem Augenwinkel bemerke ich, daß das Fährschiff angelegt
hat. Da mich meine Schlängelei ziemlich nahe an die Pole-Position
gebracht hat, muß ich mich beeilen, zu Akbar zu gelangen, denn es
sind noch einige Dinge zu fixieren und die Flasche zu verstauen. Wuschelkopf
sieht das ganze natürlich griechisch-locker und nicht so verklemmt
wie ich und plaudert munter weiter, als wäre nichts anders als vor
fünf Minuten. Zwar weiß ich nicht wirklich, ob die hinter
mir nervös werden, als ich an der Reihe bin, aber noch beim Kiosk
stehe und rede. Mein mitteleuropäisches Pflichtbewußtsein läßt
mich in einen Gewissenskonflikt stürzen. Ich kann doch den netten
emsig plaudernden Biker-Kollegen nicht zugunsten der normalen Blechbüchsenfahrer
vor den Kopf stoßen! Als die zwei Kolonnen Ansätze machen,
das Problem mittels Reißverschluß-System zu lösen, das
man notgedrungen anwenden muß, wenn eine von zwei Spuren blockiert
ist, gebe ich mir doch einen Ruck, schnell alles nordürftig irgendwo
dazwischenzustecken, um weiterzukommen. Ein "Good luck!" begleitet
mich noch die ersten Meter. Schön!
Erster Gang, zweiter und schon stehe ich
vor dem offenen Rachen des Ferry Boat. Als ich allerdings Anstalten mache,
draufzufahren, bedeutet mir der einteilende Grieche mit Mißverständnisse
ausschließender Deutlichkeit, daß ich mich drüben auf
dem Kai neben den anderen Motorradfahrer stellen möge. Mache ich
natürlich und bekomme so die Möglichkeit, einen griechischen
Biker der gehobenen Klasse kennenzulernen. Oder besser das Bike, denn
seine Klasse ist so gehoben, daß er eben mal ein gnädiges Nicken
übrig hat. Ob es seine top-mäßig hergerichtete Africa
Twin ist oder seine kühle, filmstar-mäßige Sozia, die
ihm den Stock in den Rücken steckt, bleibt im Ungewissen.
Vorderhand sehe ich mit Interesse zu, wie
die Griechen ihre Vehikel aller Art und Komplexheit mit einem Schwung,
auf das Schiff fahren, aus dem man schließen, daß sie das
schon konnten, bevor sie gehen gelernt haben. Und zwar nicht nach vorne,
sondern vor und dann fließend rückwärts, etwa in der Geschwindigkeit,
in der ein Lehrer bei einer Schularbeit sein Ok-Hakerl setzt. Schwupp-wupp.
Mehr und mehr schwindet der freie Platz auf dem Schiff, schon fange ich
an, mir zu überlegen, wo ich denn nun eigentlich Platz finden sollte.
Unverdrossen wird aber weitergeschachtelt . Sind Griechen Meister des
passiven Widerstands und ich erlebe so nun eine Lektion dafür, mich
nach vorne geschummelt zu haben? Nein! Der Einwinker meint nun uns zwei,
der Stockträger treibt seine Africa Twin mit unnachahmlicher Hoheit
und Läßigkeit hinüber und stellt sie hinter den letzten
Autos quer, indem er sie gekonnt über den Ständer um neunzig
Grad dreht. Das selbe wird offenbar auch von mir erwartet, dabei andere
physikalische Gegebenheiten außer acht lassend. Aber da schließlich
die die Fachleute sind und nicht ich, rolle ich einfach mal die
Rampe hinauf und warte, wie es weitergehen soll. Die sind der Boß,
ich habe hier nur zu gehorchen. Und irgendwer hat mir einmal gesagt, daß
in Griechenland grundsätzlich nichts geplant funktioniert, aber letztlich
doch alles klappt. Es fällt mir nicht leicht, diesen Worten jetzt
zu glauben, aber ich gebe mich äußerlich fast desinterssiert.
Er bedeutet mir, näher heranzufahren. Mach ich. Zwei Zentimeter zum
Vordermann. Trotzdem ist noch das komplette Hinterrad auf der Rampe. Daß
das nicht so bleiben kann, denn die Rampe wird fast senkrecht hochstehen,
leuchtet auch dem Schiffer ein. Also wird ein wenig rangiert. Links und
rechts werkeln die Autos so lange hin und her, bis zwischen den mittleren
ein Spalt von - sagen wir einmal - einem knappen Meter frei wird. Mehr
geht einfach nicht. Ungeduldig bedeutet mir der Fährmanns-Gehilfe,
mich da hineinzuzwängen. Mach ich. Kaum ist mein Hinterrad von der
Rampe, verliert er schlagartig das Interesse an mir und der E-Motor beginnt
mit einem durch Mark und Bein gehenden quietschenden Surren das Heck zu
verschließen. Binnen weniger Sekunden bin ich hoffnungslos eingekeilt,
stehe da, verlassen und einsam wie auf dem Mond. Alle anderen gehen gemütlich
auf den seitlichen Laufsteg. Ich stehe ein wenig verkrampft über
Akbar. Die gute Nachricht: Ich bin auf dem Schiff. Die schlechte: Ich
habe keinen Mittelständer. Ist das denn wichtig? Wichtig, wichtig...
angenehm wäre es halt, denn ich habe links und rechts neben den Koffern
etwa je fünf Zentimeter Luft zum Lack der nebenstehenden Autos. Man
braucht nicht zu erwähnen, daß diese zwei die einzigen wirklich
schönen und auch geputzen auf dem ganzen Schiff sind. Ich würde
ja liebend gerne hier ein Foto einfügen, aber eben. Doch, was solls,
schließlich habe ich ja zwei Beine, mit denen sich das Bike problemlos
in der Lotrechten halten läßt. Problemlos ist aber keineswegs
mit mühelos gleichzusetzen. Die ersten zehn Minuten schon, während
das Schiff langsam vom Pier abdreht. Dank der hohen Bordwände habe
ich natürlich keine Ahnung, wo wir sind, wie nahe oder weit weg vom
Ziel, ob wir sinken oder nicht. Das einzige, das ich ausgezeichnet sehe,
ist der bltzblanke Lack neben meinen Sattelkoffern. Dunkelblau links,
scharlachrot rechts. Ich soll ja schließlich auch nichts anderes
sehen. Lebe der Gegenwart. Keine Lust für philosophische Überlegungen,
obwohl der Moment durchaus dazu angetan wäre. Fünf Zentimeter.
Kein Problem. Oben stelle ich mir den Käpt'n vor. Vor sich das riesige
Steuerrad, auf dem seine schwielige Pranke liegt, eine Zigarette klebt
in seinem Mundwinkel, er labert mit seinen Hilfssheriffs, unendlich gelangweilt,
weil er da schon siebehundertachtundneunzigtausendsechshundertachtzehnmal
hin und her gefahren ist. Ich spüre förmlich, wie er sich kurz
umdreht, dabei dem Steuerrad einen Schubs verpasst, natürlich nicht
wissend, daß mich sein Zucken im Kleinen Finger zu einem artistischen
Balanceakt zwingt, wenn sich nicht meine schwarzen Koffer in den dunkelbauen
und scharlachroten Kotflügel bohren sollen. Ich höre förmlich,
wie er einen Witz reißt, und, während er sich gröhlend
darüber amüsiert, vor Begeisterung so richtig markig auf das
Steuerrad haut, das von dem Schiffstreiberscherz auch nicht unberührt
bleibt und devot reagiert. Drei Minuten Artistik, leichte Krämpfe
in den Waden, Schweißperlen auf der Stirn. Es pendelt sich wieder
ein, ein paar Minuten Ruhe, ich spüre, wie die der Schweiß
mein Rückgrat hinuterläuft. Dankbar stelle ich fest, daß
ich meine Beine nicht mehr spüre. Ich liebe Leute mit Humor. Der
Kapitän scheint einer von denen zu sein. Oder er hat sich nur gebückt
um eine neue Flasche Bier aufzuheben. Egal. Vielleicht war es auch nur
eine Welle. Ich mache die neue Erfahrung, daß man auch mit gefühllosen
Beinen balancieren kann. Meine Zunge fühlt sich pelzig an. Bin ich
Kishon? Glücklicherweise nicht, denn sonst würde der Käpt'n
noch ganz andere Dinge tun. Aber er tut nur seinen Job. Er haut den Rückwärtsgang
hinein, der Kahn vibriert und - hier bekommt er meine völlige Absolution
für jeden Witz, den er vorher zu viel gemacht hat - legt das Fährschiff
an den Pier, als wär's eine Feder und vor allem schnell. Womit bewiesen
wäre, daß selbst der schlechteste Witz bedeutend mehr bewegen
kann als die beste Routine.
Das grausame Sirren des Rampenmotors setzt
ein und es folgt der dritte Akt mit Finale. Eleganter Abtritt. Ich spüre
das hölzerne Knarren, als sich meine Beine um zwei Grad beugen, spüre,
wie der Schweiß die Gürtellinie passiert und wundere mich,
daß es mir gelingt, das Hinterrad so weit zurückzusetzen, daß
die Rampenschräge den Rest besorgen kann. Allein es magelt nicht
an Publikum, denn bevor ich draußen bin, kann niemand sonst. Ich
genieße es unendlich, die Autos vorbeidefilieren zu sehen, mit dem
Taschentuch über die Stirn zu fahren, einen Schluck Wasser meine
ausgedörrte Kehle beleben zu lassen und zu spüren, wie die abertausend
Blutkörperchen in den Beinen erwachend wieder ihre Transportfunktion
aufnehmen. Zufällig schau ich hinauf zur Brücke. Die Tür
öffnet sich und der Käpt'n kommt heraus. Klein, ein schmächtige
Kerlchen, ausgezehrtes Gesicht. Sicher Nichtraucher. Und Antialkoholiker.
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Um Aktio, gegenüber von Preveza, ist
die Gegend ebenfalls flach. Sie wirkt irgendwie gemütlich, unterstrichen
durch das sanfte Abendlicht, an einem Flugplatz vorbei und letztlich geht
es dann links Richtung Vonitsa. Die Sonne steht schon knapp über
dem Horizont, sie ist oval und von tiefem Orange. Blauäugig denke
ich, daß ich noch jede Menge Zeit habe, bis es wirklich dunkel wird.
Trotz Griechenland wird es langsam kühl. Die letzten Kilometer habe
ich ohne Helm zurückgelegt, es ist ein wunderbares Gefühl, langsam
durch den südlichen Abend zu rollen, den lauen Wind in den Haaren.
Trotzdem wird es mit der Zeit kühl, sodaß ich wieder zu Helm
und Lederjacke greife. Kurze Kontrolle, wo ich mich befinde. Vonitsa muß
bald kommen. Nach kurzer Zeit taucht tatsächlich eine Kreuzung auf,
ich rolle ein paar Meter nach links zur Tankstelle. Immerhin schon 200
km auf dem Tacho seit dem letzten tanken und man weiß ja nie. Als
nicht einmal zehn Liter hineingehen wundere ich mich sehr! Das bedeutet
ja weniger als fünf Liter/100 km! Rückblickend kommt es mir
allerdings logisch vor, denn ich habe die Strecke ja wirklich im spritsparendsten
Tempo genossen.
Eine kurze Rundfahrt die einzigen Hauptstraße
runter und zurück zeigt, daß es zwar Tavernen gibt, aber keine
einzige Übernachtungsmöglichkeit, ehrlich gesagt habe ich auch
noch keinen Bock auf abhalftern. Also kehrt und Richtung Süden: Das
Abenteuer beginnt!
Die nächsten Kilometer werden als unvergessliches
Erlebnis immer in meiner Erinnerung bleiben. Schon als Kind faszinierte
mich das Wechselspiel zwischen Kontakt und Einsamkeit. Damals hatte ich
einen alten Röhrenradio von Neckermann. Stundenlang konnte ich abends
im Dunkel sitzen, nur das erleuchtete Senderband vor mir, die Finger an
dem großen Rad. Wenn ich es drehte, bewegte sich der senkrechte
Stab nach links oder rechts, Sender kamen, wurden unscharf, verschwanden
im Rauschen, kurz darauf tauchte ein anderer aus dem Nichts auf, wurde
klarer, verständlich. Tanszmusik, Nachrichten, eine Dokumentation,
ein Konzert, eine Oper, ein Hörspiel. Durch das Drehen des Rades
konnte ich von Station zu Station gleiten, konnte in die einzelnen Räume
spähen oder mich durchs Nichts bewegen, in Spannung auf den nächsten
Sender, auf das nächste Unerwartete. Dieses nämliche wunderbare
Gefühl ist wieder zum Greifen da!
Während der ersten Kilometer nach dem
Ort ist noch ein wenig von der Landschaft erkennbar, wenngleich der Scheinwerfer
schon beginnt, gute Dienste zu leisten. Die schmale Landstraße links
und rechts ist manchmal von einem wackeligen Holzzaun, aber meist von
Steinwänden gesäumt und es geht stetig leicht bergauf. Schon
bald wird es aber völlig dunkel. Leise arbeiten die sechs Zylinder
unter mir und geben mir zu verstehen, daß auf sie unbedingter Verlaß
ist. Das tut gut. Keine Ahnung, wie es vorne aussieht, wohin ich komme,
wie die Straße sein wird, was mich erwartet. Sterne funkeln am Firmament
und unwillkürlich fallen mir Antoine de Saint Exupéry ein
und sein kleiner Prinz. Oder die Wüstennacht in kompromißloser
Stille, unter einem Baldachin voller kleiner Lichtpunkte. Der Scheinwerferkegel
wandert über die Straße, Kurven tauchen auf und verschwinden
seitlich, ein Busch am Straßenrand, eine Steinmauer, ein Zaun. Lange
Zeit fahre ich so durch die samtene Nacht. Kein Auto begegnet mir, Stille,
hie und da taucht Grillenzirpen auf, wird lauter und verschwindet mit
verändertem Ton hinter mir. Ein wunderbares Gefühl des Eingebettetseins
ins Universum.
Mittlerweile geht es eben dahin und die Straße
beginnt leicht abzufallen. Eine ganze zeitlang sanft bergab, ich bleibe
stehen. Grell blendet das Licht auf die Straßenkarte. Ganz weit
vorne sehe ich ein paar Lichtpünktchen. Ich vergleiche mit der Karte.
Es muß Stano oder Paleros sein. Aus dem kleinen Tankrucksäckchen
hole ich den Zettel heraus, den ich auf dem Schiff mit den mir als wichtigst
erscheinenden griechischen Redewendungen und Worten gefüllt habe.
Unter den Lichtern hoffe ich fest, meine kleine griechische Traumtaverne
zu finden, nur ein kleines Zimmerchen und das ist gerade frei... Xérete
pu boró na wro éna dhomáthio edhhó? - Wissen
sie, wo ich hier ein Zimmer finden kann? Ein paarmal sage ich den Satz
nach, dann stecke ich den Zettel wieder ein und murmle die Worte weiter
vor mich hin. Der Motor dreht wieder leise hoch und ich gleite durch die
Nacht auf die Lichter zu. Beide Orte müssen sich rechts ab befinden.
Links an der Hauptstraße zieht eine Tankstelle mit einem motelähnlichen
Gebäude vorbei. Meine Vorstellungen sind aber anderer Natur. Ich
biege rechts ab, und fahre gespannt auf die Lichteransammlung zu. Als
ich näher komme ist die Enttäuschung groß: Eine Anlage
eines Clubs, ein riesiges Restaurant, teure Autos auf dem Kiesparkplatz.
Ich lasse die Gebäude rechts liegen und fahre weiter auf den Ort
Pogonia zu. Aufwärts vorbei an einer Pizzeria (ja, das gibt es hier
auch), entdecke ich ein kleines Lebensmittelgeschäftchen, das offen
hat. Ich fahre vorbei, drehe um und finde für Akbar ein Winkelchen,
wo er auf mich warten kann. Ein alter Mann ist in dem Geschäft und
kramt bei den Waren herum. Ein kurzer Kontrollblick unter Scheinwerferlicht
auf meinen Zettel. "Xérete pu boró na wro éna
dhomáthio edhhó?" Verständnislos blickt er mich
an. Ich wiederhole den Satz, das hellt das alte Gesicht aber keineswegs
auf. Als auch nach dem dritten Versuch kein Verstehen seine Züge
entspannt, versuche ich es weniger professionell: "dhomáthio?"
und ahme schlafen mit gefalteten Händen und schräg gelegtem
Kopf nach. Verstehen keimt auf "dhomáthio?" meint er
und ich finde kaum einen Unterschied zu dem was ich gesagt habe. "Ne,
ne" gebe ich zurück, stolz darauf, zu wissen, daß das
'ja' heißt. Nun beginnt er zu zeigen und reden - griechisch natürlich
- und ganz vage vermute ich eine entsprechende Erklärung als tieferen
Sinn. Das einzige, das ich verstehe ist 'Pizzeria' und vermute auch, daß
zu dieser ein unbestimmtes verwandtschaftliches Verhältnis zu bestehen
scheint. Dankend veranschiede ich mich "Kali nichta", schwinge
mich auf Akbar und fahre los. Vorbei an der Pizzeria mit den unzähligen
bunten Lämpchen und Lichtern und Leuten, die laut singend im Garten
sitzen, denn ich suche ja immer noch...
Schließlich fahre ich zurück zu
dem motelähnlichen Gebäude nahe der Tankstelle. Im Tankstellenhäuschen
ist jemand am telefonieren und ich starte wieder den "dhomáthio?"-Versuch,
auf das Gebäude mit den erleuchteten Zimmern zeigend. Er versteht
mich sofort - schließlich habe ich nicht den Umweg übers Griechische
gemacht - beginnt herumzurufen und zu -telefonieren. Schließlich
fragt er, ob 7000 Drachmen ok wären, ich nicke, obwohl es mir nicht
eben wenig vorkommt, aber egal und er bedeutet mir, ihm nachzufahren.
Wir fahren die gleiche Strecke zurück und ich denke bei mir nur 'hoffentlich
nicht der Club!'. Kurz vorher biegt er aber zum Glück ein, ein kleines
Lokal neben dem Campingplatz. Er geht in ein Häuschen und kommt gleich
darauf, von einer alten Frau ganz in schwarz gefolgt, wieder heraus. Sie
geht mir zu einem kleinen Bungalow voran und fragt auch nochmals, ob der
Preis in Ordnung ginge. Ich nicke. Es ist ein winziger Bungalow, ich kann
Akbar direkt vor der Türe stehen lassen. Die Zurrgurte und Gummis
sind schnell gelöst und alles in dem Zimmerchen verstaut, das zwar
einfach aber durchaus sauber ist, mit Dusche und WC. Spät ist es
noch nicht, rund einundzwanzig Uhr und ich habe guten Appetit. In dem
kleinen Lokal direkt vor dem Bungalow sind drei Tische besetzt, ich setzte
mich an einen freien und bestelle einen Uzo, einen griechischen Salat
und eine große Flasche Wasser. Selten hat mir ein Abendessen so
hervorragend geschmeckt, auch wenn mir der Blick des Obers zeigt, daß
er mich in die Lade mit der Aufschrift 'fragwürdig' gesteckt hat.
Nach einer Stunde höchsten Genusses sind es nur ein paar Schritte
zum Bett. Und dann nur wenige Minuten, die es braucht, bis ich glücklich
eingeschlafen bin, sicher mit einem sehr zufriedenen Lächeln auf
den Lippen...
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