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Was für eine Nacht! Keine Angst, es
kommen keine Begeisterungsausbrüche. Seit rund zwanzig Jahren habe
ich nicht mehr im Zelt geschlafen. Und vor zwanzig Jahren war es eine
dicke Luftmatratze, die ich zwar noch als quengelndes Gummitrumm in Erinnerung
habe aber immerhin war sie weich. Meine Unterlage hier ist nicht weich.
Sie ist dünn. Sie ist hauchdünn und hochmodern. Wenn man die
Rolle losläßt, dann springt sie automatisch in Matratzenform,
bläst sich selbst auf, stöpselt sich zu und legt sich ins Zelt.
Selbst wenn sie das alles würde - und ich versichere euch, sie tut
nichts davon - wäre sie schlicht und ergreifend einfach nicht erwachsen.
Länge mal Breite schon, aber die Dicke ist für diese Menschen,
die am liebsten auf dem Boden schlafen, ohne Teppich, versteht sich, die
sich auch auf Betonboden wohl fühlen, ja selbst nicht vor Nagelbrettern
zurückschrecken. Sie ist nicht für Weichlinge wie mich. Für
Stadtmenschen, die m Bett schlafen. Warm duschen, Regenschirme benutzen,
wenn es regnet und im Winter heizen. Sie ist für den echten Abenteurer.
Ich bin kein Abenteurer. Nächste Nacht werde ich versuchen, im Sattel
sitzend zu schlafen.
Aber
es war nicht nur hart. Auch Akkustik ist im Zelt absolut und hautnah.
Jetzt verstehe ich, warum sich viele einen antrinken, bevor sie im Zelt
schlafen gehen. Man hört wirklich alles. So zum Beispiel alle anderen
Leute, die auch schlafen am gleichen Zeltplatz und allen benachbarten
Zeltplätzen. Manche davon halten sich zur Nachtruhe ebenfalls in
Zelten auf, zu denen hat man ein nahezu metaphysisches Naheverhältnis.
Zum Beispiel die Franzosen schräg via a vis. Er sieht am Tag völlig
harmlos aus. Ein netter Vater zu seinen Kindern, offenbar unkompliziert,
denn sie können mit ihm tun, wonach ihnen ist, er wäscht auch
das Geschirr und die Wäsche, hängt letzteres zum Trocknen auf
die Leine, aber dann - in der Nacht, da schlüpft er in sein Zorro-Gewand,
packt die Motorsäge, wirft sie an und besucht Zelt für Zelt
im Umkreis von mehreren hundert Metern. Seine Spur ist gesäumt von
psychisch Labilen, die nur noch ängstlich in die Morgensonne blinzeln
und beim geringsten Motorengeräusch heftig zusammenzucken.
Oder die Straße. Es ist mir gestern gar nicht aufgefallen, daß
sie quer durch mein Zelt führt. Sie muß verlegt worden sein,
während wir essen waren. Noch am Abend hatte ich eine wohlwollende
Bemerkung über den angenehmen Klang der 100ccm-Mopeds gemacht, die
hierzulande unsere 50ccm-Schreier ersetzen. Allerdings wußte ich
nicht, daß sie alle direkt neben meinem Kopf parken. Wußte
auch nicht, daß sie direkt an der Luftmatratze, die mit ihrer Dicke
durchaus mit Crèpes Suzettes konkurrieren kann, vorbeidonnern,
so knapp, daß ich mich die ganze Nacht nicht getraut habe, einen
Teil des Fußes über den Rand zu strecken, aus lauter Angst,
daß er abgefahren wird. Auch die Finger hatte ich offenbar unter
Kontrolle, denn sie sind alle noch dran. Es waren aber nicht nur die vielen
Tausend Mopeds der Nacht, sondern auch die Lastautos, Personenautos, Traktoren
und es waren die Tauben. Jetzt erst versteh ich den tieferen Sinn des
Spruchs "Lieber ein Spatz in der Hand, als eine Taube auf dem Dach"
erst richtig.
Aber was soll ich sagen. Es ist Griechenland,
die Sonne scheint, ich kram' halt meine Zahnbürste bereits im ersten
Morgendämmern heraus und mach mich auf den Weg zur Dusche. Der Motorsägemann
ist dabei sein Gerät zu warten, die Säge läuft zur Zeit
lediglich im Leerlauf. Jeden fünfte Schritt schüttle ich ein
Steinchen aus den Sandalen, mal aus der linken, mal der rechten, mal aus
beiden. Die Dusche ist in einem rechteckigen Betonblock, der rundherum
Fenster-Löcher hat. Daß es sich um Beton handelt, erkennt man
dann, wenn man die Schichte Efeu beiseite schiebt, die vom Dach herunterrankend
Waschbecken und Klomuscheln als nächstes Ziel anvisiert hat. Doch
das Wasser ist warm und fühlt sich gut an auf den wunden Hüft-
und Schulterknochen. Ich mache einen ausgedehnten Spaziergang am Strand
entlang und dann gemächlich zurück zum Zelt. Eine ganze Zeit
lesen und dann höre ich, wie meine zwei Fakire im Nebenzelt langsam
wach werden. Bald darauf sitzen wir an dem weißen Plastiktisch auf
ebensolchen Stühlen, welche die Campingbesitzerin Robert freundlicherweise
zur Verfügung gestellt hat. Bei etwas Käse und Brot ist bald
die Nacht vergessen und ich sehe Akbar an, daß auch er sich von
den Kilometern des Vortags prächtig erholt hat.
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- 2 -
Für heute ist eine Rundfahrt auf den
südlichen Teil der Argolis geplant. Das Wetter - ebenso bilderbuchmäßig
wie am Vortag - verspricht eine prächtige Tour. Michael hilft, Akbar
rückwärts aus der Mulde zu schieben, auf dem Schotterboden hat
man schlechten Halt. Im Schrittempo rolle ich hinter ihm und Robert das
enge gewundene Gässchen über den Platz hinaus auf die kleine
Straße, die in den Ort führt. Dort kaufen wir noch Wasser,
um fürs erste diesbezüglich versorgt zu sein. Bei den zu erwartenden
Temperaturen ist das sehr wichtig, da man durch den Fahrtwind zusätzlich
austrocknet, das aber kaum merkt und so in kurzer Teit starken Durst bekommt.
Drepano haben wir schnell hinter uns gelassen
und fahren in Richtung Süden die Küste entlang. Dann geht es
ins Landesinnere, die Straße windet sich in kleinen Kurven in die
Höhe, die Aussicht wird weiter. Immer wieder sind neben der Straße
Obst- und Gemüsestände und es fällt mir schwer nicht stehen
zu bleiben, um die Sattelkoffer vollzupacken. Einige Kilometer hinter
Karnesaika stoßen wir auf die Straße, die aus dem Norden kommt
und in Richtung Oros Didimo führt. Sie ist breit und angenehm zu
fahren. Der südlich-warme Wind umweht uns, als wir teils über
ziemlich gerade Abschnitte, teils durch Kurven höher klettern.
Schließlich bleibt Robert, kurz hinter dem Sattel, bei einer unbedeutenden
Kreuzung stehen. Links führt eine schmale Asphaltstraße bergan,
wir studieren die Karte. Für Robert und Michael ist die Gegend nicht
fremd, speziell Robert war schon öfters auf der Argolis. Er erklärt,
daß diese Straße noch nicht lange freigegeben ist. Ständer
rauf, starten und schon schieben uns die PS unserer Bikes bergauf. Hie
und da weht ein scharfer Geruch von der Seite herein. Die Straße
schlägt ein paar Haken, Robert bremst scharf, wir stehen plötzlich
von unzähligen Bergziegen umringt da. Obwohl die Tiere beiseite springen,
sind sie durch ihre Vielzahl, die wohl recht effektiven Hörner und
schwarze Färbung respekteinflößend. Wo sie sich aufgehalten
haben, ist die Straße übersät von ihren kleinen runden
Stoffwechsel-Kügelchen. Wenn man diese flach fährt, sollte man
die daraus entstehende Glätte nicht unterschätzen. Die Straße
führt stetig weiter bergauf, östlich, schließlich südlich
um den Berg herum. Noch zwei-, dreimal begegnen wir einer Ziegenherde,
öfters den braunen Kügelchen-Teppichen. Am Rand ist der Asphalt
abgehackt und bildet oft eine viele Zentimeter hohe Stufe.
Letztlich erreichen wir das Plateau des Monte
Didimo, es geht nun nördlich, wo eine Anzahl von Sendemasten und
zugehöriger Anlage die mondartige Einöde stören. Es ist
so hoch, daß die Sonne trotz des heißen Spätsommertags
nicht mehr richtig wärmt, was ein kühler Wind zusätzlich
verhindert. Es ist aber nicht wirklich kalt. Zu sehen gibt es nicht besonders
viel. Der Berg ist nicht zerklüftet, sondern erinnert an einen riesigen
Kopf, der geduldig seine anspruchslosen Bewohner und die Besucher auf
sich herumkrabbeln läßt. Man hat zwar Blick auf den südwestlichen
Zipfel der Argolis, kann vage die Inseln Spetsä, Dokos und Ydra mehr
ahnen als erkennen, aber die Sicht ist durch die lange Trockenheit nicht
gut. Also verweilen wir nur kurz und verlassen die karge Gegend talwärts.
Wieder Ziegenherden, die man durch den beißenden Geruch vorzeitig
bemerken kann, wieder die Ziegenbohnenteppiche. Wir gelangen zur Abzweigung
und halten uns nun links auf der Hauptstraße. Es geht weiter abwärts,
jetzt jedoch auf ausladende Straße, der Asphalt teilweise rissig
und etwas löcherig. Am Straßenrand stehen hie und da kleine
griechisch-orthodoxe Häuschen, Ikonen, vergleichbar mit den 'Marterln'
aus unseren Breiten. Sie sind individuell, meist aber auch etwas verlottert.
Oft eine Glasscheibe davor, innen Kerzen, Kunstblumen in PET-Flaschen
oder kleinen, oft umgefallenen Vasen.
Vor uns breitet sich das Tal aus, wir kommen
in diese Hochebene. Schon beim Verlassen der Nebenstraße hat Robert
etwas von Dolinen gesprochen, diesen seltsamen Löchern im Gelände,
die durch eingestürzte Höhlen entstanden sind. Am Talboden angelangt
geht es eine Gerade entlang. Robert bremst und biegt nach rechts auf eine
Schotterstraße. Nördlich am Hang wird ein eindrucksvoller Krater
sichtbar, aber wir halten vorher auf einem naturbelassenen Parkplatz unter
einer Gruppe von Föhren, auch ein Holztisch und zwei Bänke stehen
hier. Mitten in der Föhrengruppe führt ein Weg nach unten, Geröll,
grobe behauene Stufen führen wie in einen Trichter abwärts und
münden in einen niedrigen Tunnel. Ich muß den Kopf einziehen,
es geht weiter abwärts, gleich darauf ist aber wieder Licht zu sehen
und ich betrete in etwa ein Viertel Höhe das Rund der Doline.
Es
ist ein mystisches Erlebnis! Ein Schritt in eine andere Welt, auf einen
anderen Planeten. Andächtige Stille, die Luft steht in der fast mittäglichen
Hitze. Ich stehe im Schatten des Überhangs und blicke gebannt in
das Rund. Als ich den Blick nach rechts wende, sehe ich eine kleine Kapelle,
die sich in eine Rille der Wand schmiegt, so ein natürliches Dach
erhaltend. Links ein paar Stufen hinunter und ich stehe auf dem Boden
eines Vorsprungs, der in mehreren Metern Höhe halb um den Einsturz
führt. Fasziniert sauge ich die Athmosphäre ein. Wie das Haar
von greisen Köpfen hängen Zweige von Büschen aus der Wand
herunter, als Gegengruß recken Zypressen ihre schlanke Gestalt gegen
den Himmel. Im Zentrum des Kreises hat sich ein ausladender Baum niedergelassen,
umgeben von einer Vielzahl von Büschen, die den Grund unwegsam machen.
Ich lenke meine Schritte weiter nach links, gehe den Vorsprung entlang.
Ein zweites Kapellchen taucht auf, viel kleiner als das erste und wäre
kaum erkennbar, wäre nicht seine Außenseite strahlend weiß
gestrichen. Davor eine brusthohe Säule mit einem Teller, auf dem
ein schlangengleiches Gewirr von Kerzen liegt, die in der Hitze ihre aufrechte
Haltung aufgegeben haben, in sich und übereinadner zusammengesunken
sind. In der Sonne ist es sehr heiß, ich gehe noch ein wenig weiter,
es steigt an und ich stehe nun genau vis a vis vom Eingang und der ersten
Kapelle. Auf der linken Seite setzt sich der Vorsprung sehr schmal fort.
Ich verfolge den Verlauf des Bandes und bemerke plötzlich, daß
wir offenbar nicht alleine sind. Dort, wo die Fläche so schmal wird,
daß man nicht mehr weiterkommt, ohne Gefahr zu laufen, abzustürzen,
sitzt jemand, die Gestalt komt mir eigentümlich bekannt vor. Ich
tausche den Weitwinkel gegen das Teleobjektiv und blicke hinüber.
Schaue genauer und fasse es nicht! Es scheint doch tatsächlich die
Frau zu sein, die ich Tags zuvor auf Akrokorinth als Silhouette gegen
den griechischen Himmel sah! Nun sitzt sie hier im Yogasitz in der Doline
von Didyma? Wieso habe ich das Motorrad nicht gesehen? Ganz genau blicke
ich nochmals durch das Objektiv - kein Zweifel, sie ist es! Diesmal werde
ich ihr begegnen! Ein paar Schritte zurück, das zweite kleine, wie
eine Wabe in der Wand klebennde Kapellchen taucht wieder auf. Ich wechsle
das Objektiv, suche ine passende Stelle - Vordergrund, Ausschnitt, konzentriere
mich auf den Anblick, bewundere das Spiel zwischen gleißendem Mittagslicht
und tiefem Schlagschatten. Zwei, drei Varianten, die Erhöhung wieder
hinunter, an dem Andachtsort vorbei, zurück in Richtung Robert und
Michael, die ich wartend auf den weißen Stufen zurückgelassen
habe. Als ich um die Ecke biege, sehe ich gerade noch, wie die beiden
grüßen, sehe eben noch die dunkle Mähne im aufwärts
führenden Tunnel verschwinden. Wie konnte sie just jetzt und noch
dazu so schnell zurück gelangt sein? Ich
beschleunige meine Schritte, aber es sind doch noch einige Meter bis zum
Aufgang. "Wartet mal kurz", dage ich zu Robert, drücke
ihm meine Fototasche in die Hand und will die Stufen aufwärts eilen.
Da höre ich Tritte, es kommen Leute herunter, ich bin gezwungen zu
warten, bis der Aufgang wieder frei wird. Es dauert eine Ewigkeit, schließlich
tritt ein junges Paar aus dem Tunnel und ich kann die Stufen betreten.
Eilig gehe ich hinauf, steige aus dem Trichter ins Freie, gerade noch
rechtzeitig, um zu sehen, wie meine Fata Morgana zurückrollt, um
gleich darauf den ersten Gang einzulegen und in einer Staubwolke zu entschwinden.
Lebhaft erinnert mich die Situation an jenen Serienfilm, in deren jeder
Folge Mike Hammer fasziniert eine Frauengestalt sieht, auf der anderen
Straßenseite oder außerhalb eines Lokals, die sich, kaum versucht
er sie zu erreichen, in nichts auflöst. Auch ich bin verdammt, tatenlos
ihr Verschwinden zu beobachten, zumal ich zudem auch noch den Zündschlüssel
in die Fototasche gelegt hatte...
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- 3 -
Recht niedergeschlagen trotte ich wieder
die Stufen hinunter. Zwar immer noch von der Stimmung angetan mache ich
ein paar Aufnahmen von der Hauptkapelle, aber meine Gedanken sind nicht
so richtig bei der Sache. Wie kann es geschehen, daß ich ihr zweimal
begegne und sie zweimal so verschwindet, als ob sie sich genau den passenden
Augenblick ausgesucht hätte, in eben dem ich nicht mehr rechtzeitig
reagieren konnte? Da meine zwei Begleiter die Doline schon kennen, sind
sie auch einverstanden, wieder nach oben zu gehen. Wir haben alle Durst
und sind froh, als wir, oben angelangt, ein paar Schluck des mittlerweile
lauwarmen Wassers aus den Flaschen in den Sattelkoffern nehmen können.
Fragend schaut mich Robert von der Seite an, denn meine Begeisterung von
vorhin ist in Schweigsamkeit umgeschlagen. Doch ich habe keine Lust, darüber
zu sprechen. Vor allem: Worüber sollte ich denn überhaupt
erzählen?
Wir breiten die Straßenkarte auf dem
Holztisch unter den Föhren aus und besprechen unsere weitere Fahrt.
Kranidion und Ermioni schlagen sie vor, via Portochelion. Robert setzt
sich an die Spitze, seine Transalp puckert im Standgas wartend, Michaels
CB500 und Akbar springen fast gleichzeitig an. Kurzer Blick, alles ok
und wir rollen die Schotterstichstraße zur Hauptstraße hinaus.
Es ist mir sehr recht, daß wir fahren, ich mich hinterherlotsen
lassen kann, denn meine Gedanken sind unterwegs. So seltsam diese Doppelbegegnungen
waren, viel eigenartiger kommt es mir vor, wie sehr sie mich beschäftigt.
Schließlich trifft man doch tatäglich Menschen. Gut, diese
Berührungen sind weniger spektakulär. Aber wie kann man sich
in ein Phantom verlieben? Verlieben? Ich habe doch nicht einmal das Gesicht
richtig gesehen. Lediglich eine leicht mollige Gestalt, eine Fülle
von fast schwarzen Haaren mit einem Rotglanz, gekleidet in eine Lederhose,
ein TShirt unter einer Lederweste, sonst weiß ich doch nichts. Ja,
und daß sie offensichtlich ebenfalls Motorradtouren an die gleichen
Stellen liebt. Na und?
Von der Strecke nehme ich nicht viel wahr,
auch nimmt die Hitze zu. Wir fahren durch Dörfer und überland.
Manchmal habe ich den Eindruck, als wäre sich Robert nicht ganz sicher,
ob wir richtig sind, aber das ist ja auch nicht so wichtig. Nach einer
ganzen Zeit münden wir, bergab fahrend in einen Ort, Ermioni, plötzlich
liegt der Hafen vor uns, kaum Bewegung, brütende Mittagsstille. Während
meine Begleiter warten, fahre ich zurück zu dem Geschäft, das
ich eben bemerkt hatte, um ein wenig Obst zu kaufen. Mit Freude sehe ich,
daß auch Feigen angeboten werden und erstehe ein Tüte voll.
Wieder zurück sitzen wir auf einer Bank unter Föhren, alle etwas
lethargisch, ich biete von den Feigen an, die Robert danken (angewidert?)
ablehnt, Michael ißt aber auch ein paar. Unauffällig habe ich
schon die ganze Fahrt um mich geblickt, ob ich nicht vielleicht irgendwo
eine rote TDM erspähen kann. Kann ich natürlich nicht.
Nachdem wir ein wenig gerastet haben, entschließen
wir uns zur Weiterfahrt entlang der Südküste, um dann eine kleine
Straße hinter Ermioni zu nehmen, die wieder nach Norden führt
und in Didyma auf die mündet, die wir hergekommen sind. Zu Abwechslung
fahre ich vor, die Straßen sind eher schmal, die Qualität teilweise
bescheiden. Mindestens zehn Kilometer hinter Erminioni halten wir an,
denn es war nirgends eine Abzweigung zu sehen gewesen. Lediglich in einem
Ort in einer Neunzig-Grad-Rechtskurve hätte man eventuell auch geradeaus
fahren können. Wir probieren eine feldwegartige Straße, kehren
aber bald um, als sie noch schmaler wird. Also nehme ich mir vor, doch
die Abzweigung in besagter Kurve auszuprobieren.
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- 4 -
Diese Kreuzung ist in der Tat unscheinbar, nicht nur das,
die Straße wird schmaler und scheint sich in einer Art Bachbett
zu verlieren. Trotzdem lenke ich Akbar hinunter und drüben wieder
hinauf und komme aus dem Staunen nicht heraus: Urplötzlich weitet
sich die Straße zu einem brandneuen, gut fünfzehn Meter breiten
Asphaltband und verschwindet verlockend hinter einer herrlichen langgezogenen
Kurve. Erfreut drehe ich am Gasgriff, Akbar schnellt nach vorne, dritter,
vierter Gang und schon fegen wir begeistert über die makellose Piste.
Was für ein unerwarteter Genuß! Robert und Michael sind im
Rückspiegel nicht mehr zu erkennen, sie werden mir hoffentlich meinen
Gefühlsausbruch nicht übel nehmen. Aber es muß einfach
sein! Zwar enge, aber perfekte Kurven folgen, die Straße bleibt
gleichbelibend breit und makellos eben, perfekt wie eine eigens erstellte
Rennpiste. Nicht einmal Markierungsstreifen trüben das Vergnügen.
Das Band beginnt leicht anzusteigen und klettert den Hügel aufwärts.
Ganz eins mit Akbar zelebriere ich eine Kurve nach der anderen, bei vielen
streift der Ständer am Boden, Akbar und ich jubeln gleichermaßen.
Obwohl die Strecke gar nicht so kurz ist, bin ich doch ein wenig enttäuscht,
als ich auf der Kuppel anlange und es wierder bergab geht. Hinunter fahre
ich etwas langsamer und warte dann auf einer Geraden, ein paar hundert
Meter nach dem Ende der Ausbaustrecke auf Robert und Michael. Sie kommen
bald und haben es gleichermaßen voll genossen. Begeistert reden
wir noch über die Strecke, nehmen ein paar Schluck Wasser und fahren
dann wieder im üblich-gemütlichen Stil nach Didyma hinein.
Der Weg durch den Ort ist leicht gefunden, wir gelangen
oberhalb der Abzweigung zu den Dolinen wieder auf die breite Hauptstraße.
Noch einmal verlockt es, mit Speed die Kurven hinaufzuziehen, ich wedle
hinter Michael her, während Robert gelassen und gemütlich weiter
hinten nachkommt.. Es ist so gut wie kein Verkehr. Ab dem Sattel ist dann
das heutige Bedürfnis nach Geschwindigkeit endgültig befriedigt.
Wir genießen die Abfahrt in der Spät-Nachmittagssonne, die
ihr warmes Licht über die friedliche Landschaft breitet. Speziell
die Strecke Richtung Westen, der Küste entgegen, ist eine Augenweide.
Locker schwingen wir die vielen Kurven hinunter, machen auch mal Halt,
um die wunderbare Aussicht so richtig zu genießen. Wir freuen uns
alle schon ordentlich auf ein feines Abendessen in einer Taverne in Drepano,
Robert hat ja noch gar nichts gegessen und die Feigen sind schon lange
verdaut. Der Rest des Ausflugs verläuft nachmittäglich faul,
wir rollen durch die paar Orte, betrachten die Gegend und sind unversehens
wieder zurück auf dem Campingplatz. Im Konvoi rollen wir so langsam
als möglich durch das kleine Labyrinth und stellen die Bikes neben
dem Zelt ab. Diemal stelle ich allerdings Akbar umgekehrt auf, um am nächsten
Tag problemlos losfahren zu können.
Auf das Bad im Meer habe ich mich schon sehr gefreut.
Aber das Vergnügen wird sogleich geschmälert. Wenige Meter außerhalb
des Strandes verläuft quer eine Barriere aus ziemlich unwirtlichen
Felsen, gerade unter der Wasseroberfläche. Man kann schlecht darauf
gehen, da sie sehr schroff sind und zwischenhindurch entdecke ich nur
einen schmalen Durchgang, auf dem man nicht genau erkennen kann, ob nicht
Seeigel hinterhältig warten. Andererseits ist das Wasser noch so
seicht, daß es nicht einmal bis zur Hüfte reicht, man ist also
gezwungen zu gehen und kann nicht durchschwimmen. Draußen bin ich
zwar bald, aber der Rückweg wird zu einem Martyrium, den Durchgang
finde ich natürlich nicht mehr und ich stoße mir die Füße
ein paarmal ganz ordentlich. Dieser Zeltplatz hat meine Gunst verloren,
so nett auch die Inhaberin sein mag.
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- 5 -
Diesen Abend lasse ich meine Freunde zu Fuß vorausgehen,
meine Füße sind zu arg ramponiert von dem abendlichen Bad.
So kann ich noch gemütlich länger duschen. Auch Akbar ist erfreut,
daß es noch nicht zu Ende ist für heute und so rollen wir nahezu
im Schrittempo die kurze Strecke durch den Ort - vorbei am Campingplatz,
dem Lebensmittelgeschäft, der Bar. Am Dorfplatz angelangt finde ich
Robert und Michael gleich, sie haben wieder das Lokal von gestern ausgewählt.
Direkt vor dem Tisch ist Platz auf der Straße, wo ich Akbar abstellen
kann. Als ich um einen Lieferwagen herumgehe, um in den Gastgarten zu
gelangen, bleibe ich wie angewurzelt stehen: zwischen ihm und dem nächsten
Auto steht eine rote TDM! Ich spüre, wie mein Puls sich schlagartig
verdoppelt und versuche recht unbeteiligt in die Runde zu blicken, als
ich zu meinen Jungs hinübergehe. Tatsächlich, am anderen Ende
des Lokals, nahe dem Eingang sitzt meine Fata Morgana. Was mich allerdings
nicht besonders begeistert, ist ihr Begleiter, mit dem sie sich offenbar
prächtig unterhält. Es macht keinen Sinn, enttäuscht zu
sein, es war vielmehr vermessen, anzunehmen, daß sie als Frau hier
in Griechenland alleine reist. Zwar finde ich es selbst nicht besonders
phantasievoll, aber ich bestelle einmal mehr Moussaka. Wir plaudern über
den vergangenen Tag, die wunderbare Berg-Rennstrecke, die Ziegenherden
und die schönen Aussichten.
Doch, wie könnte es anders sein, ohne kleinen philosophischen
Ausrutscher geht es offenbar selten. So auch jetzt. Wieder einmal ist
das Thema 'Zufall' auf dem Tapet. Von verschiedensten Seiten nimmt mich
Robert in die Zange, zwingt mich, das Thema immer wieder anders zu beleuchten.
Trotzdem ich mich bemühe, bin ich nicht sonderlich konzentriert,
mein Blick wandert zwischendurch immer wieder zu dem Tisch hinten, im
Eck, wo sich Fata Morgana und ihr Freund so angeregt unterhalten. Eine
echte Drei-Fronten-Anforderung: Philosophische Diskussion, Fata Morgana
nicht aus dem Auge verlieren und der Genuß des Moussaka soll auch
nicht untergehen! Eine ganze Zeit lang schaffe ich es recht gut, bis ich
bemerke, daß die beiden heimlich Beobachteten Anstalten zum Aufbruch
machen. Fieberhaft überlege ich, ob und was ich tun kann, aber es
kommt mir recht sinnlos vor. Erstens will ich eine harmonische Beziehung
nicht stören und zweitens wird das auch kaum möglich sein, bei
dem beobachteten guten Einvernehmen. Sie bezahlen, lachen noch mit der
kecken Kellnerin und stehen auf. Sekunden später verschwinden sie
hinter dem Lieferwagen und ich bemühe mich, zu beginnen, die Begegnung
unter 'Vergangenes' abzulegen. Kaum wende ich mich, leicht frustriert,
wieder unserer Unterhaltung zu, als ich hinter mir die Frage höre:
"Grüaß
Euch, kommts ihr aus Österreich?" - Robert grüßt
zurück:
"Hallo! Nein, wir kommen aus Deutschland. Er ist der Österreicher"
und deutet auf mich. Ich drehe mich um und sehe Fata Morgana samt Begleiter
neben Akbar stehen. Was für ein Heiß-kalt-Tag! Jetzt sehe ich
sie das erste Mal aus der Nähe. Unter der dunklen Mähne ein
eher rundes Gesicht und Augen, aus denen kleine Teufelchen blitzen. Das
Gesicht kommt mir eigenartig bekannt vor.
"Diese Lackierung ist aber nicht serienmäßig?" Fragt
ihr Begleiter.
"Nein, ist eine ziemliche Arbeit gewesen, zuerst die eine Farbe,
dann abdecken und dann die andere, schließlich drei Schichten Klarlack.
Dadurch is es auch recht unempfindlich gegen Kratzer. Wo wohnt ihr denn?
Hier in Drepano?"
So erfahren wir, daß sie in einem Bungalow direkt neben unserem
Zeltplatz wohnen und seit fünf Tagen hier sind. Sie sind aus München
und schon die zweite Woche hier herunten, genauso lange wie Robert und
Michael. Außerdem weiß ich nun, daß sie Alice und Alexander
heißen. Ich liebe meinen Akbar, denn ohne ihn wäre dieses Zusammentreffen
wohl nicht zustande gekommen. Auch beim Riff am Strand entschließe
ich mich, michzu entschuldigen...
"Du bist offenbar öfters alleine unterwegs?"
wende ich mich an Alice.
"Ja," meint sie, "mein Bruder erholt sich oft lieber am
Strand, er hat einen recht anstrengenden Job und es tut ihm gut, einmal
ausspannen zu können".
Mein Herz macht einen kleinen Sprung! Bruder!
"Und dir macht das weniger Spaß?" -
"Doch, schon auch, aber mir gefällt die Gegend so sehr und außerdem
macht das Fahren hier sehr Spaß. Zuhause muß ich dann eh wieder
leiser treten, so will ich es hier voll ausnutzen".
Wir plaudern noch ein bisschen und schließlich vereinbaren
wir, daß Alice am nächsten Tag mit uns auf eine zweite Argolis-Runde
mitfährt. während Alexander sich mit Bekannten, die sie vor
ein paar Tagen kennenlernten an den Strand legen wird. Was für ein
Tag! Ob ich heute schlafen können werde? Um es vielleicht doch zu
können, nötige ich Robert und Michael noch förmlich zu
einer Unterhaltung und ein paar Gläschen Retsina. Für das Thema
Zufall habe ich nun aus unerwarteter Richtung Schützenhilfe bekommen.
Schließlich brechen wir dann aber doch auf, ich bereite mich, während
Akbars Licht die Dunkelheit zerteilt, mental auf eine weitere Nacht in
unserem Freiluftgehege vor. Allerdings war das letzte Nacht gar nichts
gegen diesen neuen 'Schlafstörfaktor'...
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