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Wir
hatten gestern verabredet, daß wir uns in Githio zum Frühstück
treffen. Also trägt mich Akbar durch die frische Morgenluft durch
die paar Kurven, an den Campingplätzen vorbei, Hügel hinauf
und hinunter, rechts der Leuchtturm und die glühenden Dattelbüschel,
die von den Palmen herunterhängen.
Alice ist schon da, trinkt einen Orangensaft. Sie hat eine schwarze Jean
an und ein ebenfalls schwarzes T-Shirt. Der Ausschnitt wird durch Strass-Steinchen
unterstrichen und lenkt doch hie und da meinen Blick in seine Richtung.
Sonst trägt sie keinerlei Schmuck. Ihre langen Beine hat sie überkreuzt,
sitzt lässig zurückgelehnt, wobei der obere Turnschuh zwischendurch
wippt. Sie lächelt breit, als ich mich zu ihr setze.
"Ja, das ist wirklich eine schöne Überraschung, dass wir
uns getroffen haben!" begrüßt sie mich und vertieft die
ohnehin schon in meinem Herzen sitzende Sonne.
Omelett, Orangensaft und Frappée schmecken ausgezeichnet, es macht
Spaß, die Leute zu beobachten, hier spielt sich alles anscheinend
ungezwungener ab als in unseren Breiten. Nach dem ausgiebigen Essen beschließen
wir, den Strand zu nutzen, der vor meiner Gartentüre liegt.
Zuerst machen wir einen Spaziergang den Strand entlang
und ich zeige Alice den Campingplatz, wo ich vorher mit Robert und Michael
gehaust hatte. Bis zum Ende des Strandes wandern wir, dessen letztes Stück
vor dem Hotel liegt, in dem ich neulich vor dem Gewitter Zuflucht gefunden
hatte. Zwischendurch bückt sich Alice immer wieder, um einen Stein
aufzuheben, der ihr besonders gut gefällt. Muscheln gibt es leider
so gut wie gar nicht. Einmal zeigt sie mir einen und ich komme ihrem Gesicht
ganz nahe, ihr Duft umweht mich sanft. Ich muss mich sehr zusammennehmen,
ihr nicht meinen Kopf noch die paar Zentimeter weiter zuzuneigen, um mit
meiner Wange die ihre zu berühren. Mein Inneres ist ziemlich durcheinander
und von dem Stein bekomme ich so gut wie nichts mit.
"Ist er nicht besonders schön?" Sie wendet mir ihren Kopf
zu, lächelt. Merkt nicht, was in mir vorgeht oder tut zumindest so.
"Doch, ja..." meine Stimme ist belegt und klingt nicht sonderlich
rund.
Schließlich
kehren wir um und setzen uns vor die Schilfwand, die gegen Mittag wohl
ein wenig schütteren Schatten spenden wird. Draußen liegt Kristos
Boot unbeweglich auf der spiegelglatten Wasserfläche und bildet mit
seinem leuchtenden Orange einen weit sichtbaren Kontrapunkt zu der tiefen
Bläue des Meers. Kaum Leute, Nachsaison. Daß wenig Menschen
anzutreffen sind, ist angenehm, daß aber auch Lokale und Geschäfte
ziemlich schamlos schließen und allerorten die Gehsteige hochgeklappt
werden, ohne Rücksicht zu nehmen, ob man gerade darauf steht, trübt
hie und da die Freude ein wenig. So betrachtet ist Griechenland im Frühling
bedeutend einladender. Denn es macht jetzt den Eindruck, als ob Touristen
ein notwendiges Übel wären, von dem man froh ist, gegen den
Herbst hin wiederum befreit zu werden. Wenn man allerdings manche Geschichten
vernimmt, dann wundert es nicht, daß die gastfreundlichen und netten
Griechen mitunter verhärmt sind.
So hörte ich einmal von einer mitteleuropäischen Familie, die
heftig diese berühmte Gastfreundschaft genoss und in Anspruch nahm.
Sie waren stets willkommen bei der Familie, drinnen im Hinterland, den
Leuten die lediglich wenige Ziegen und Schafe besaßen, der Vater
ein lediglich altes, unzählige Male geflicktes Moped, um damit in
die Arbeit fahren zu können.
Am Sonntag des Abschieds wurde sogar eines der wenigen Tiere geschlachtet
und am Grill gebraten, ein Ereignis, daß normalerweise nur zu hohen
Festlichkeiten stattfindet. Als dann die Gastfamilie, nur interessehalber
gefragt wurde, wo sie denn wohne, bekamen die Griechen keine Antwort.
Aus der Sorge heraus, eine Gegeneinladung machen zu müssen. So erzählte
man mir zumindest, ich weiß nicht ob es wahr ist, doch wundern würde
es mich nicht.
Das
alles soll uns aber heute nicht belasten, wir haben es uns auf unseren
Handtüchern gemütlich gemacht, sind eine schöne Runde geschwommen.
Wenn man im seichten Wasser steht und sich eine Weile nicht bewegt, kommen
winzige Fischchen daher und beginnen interessiert an den Waden zu knabbern.
Manchmal kann es sogar richtig zwicken. Ist ein lustiges Gefühl.
Nach dieser Erfrischung - dem Schwimmen, nicht dem Knabbern - frage ich
Alice, ob sie nicht ein wenig weitererzählen möchte. Sie stimmt
zu und so sitzen wir nun wieder am Meer, lediglich an einem anderen Strand
und ich bin neugierig, wohin mich die Reise nun führen wird. Leise
rascheln die Schilf-Schöpfe über uns, als Alice beginnt.
"Du erinnerst dich noch, wo wir aufgehört haben?"
fragt sie mich einleitend.
"Ja, das Lichtwesen sagte zu dir 'Dies ist deine Blume'. Anschließend
bist du wieder neben Aina aufgewacht."
"Ja, genau. Ich war völlig durcheinander. Dann fragte ich sie,
was das war, was ich eben erlebt hatte.
'Was du vorhin erlebt hast, das waren in Wirklichkeit nur Bilder, du kannst
dir das wie einen Film vorstellen, so etwas, wie ihr das in manchen Filmen
seht, wenn Menschen in eine Cyberwelt eintauchen und dort Erlebnisse haben,
während sie tatsächlich auf einem Stuhl sitzen und lediglich
mit irgendeiner Maschine verbunden sind.'
'Also so ungefähr wie Träume? '
'Nein. Träume können durchaus selbst Erlebtes sein, das auf
der Wanderung deiner Seele wirklich geschieht. Sie sind natürlich
auch manchmal Erlebnisse, die aus dem Tagbewusstsein herüberschwappen.
Diese Art von Filmen sind Bilder, die du siehst, sie sind so real, dass
du meinst, es wirklich zu erleben. Du hast es ja selbst gesehen.'
'Das heißt, ich war gar nicht dort?'
'Nein, denn über den Gärten sind die Ebenen, in die ein Mensch
nie gelangen kann.'
'Warum denn nicht?'
'Weil nichts im ganzen Universum höher kann als dorthin, wo es herstammt.
Denn auch erst dort konnte es sich ja aus dem Energiestrahl herauslösen.'
'Das ist mir noch nicht so ganz verständlich. Und was war das also
jetzt? '
'Es war der Weg, den du einmal gegangen bist oder besser, den du gekommen
bist.'
'Mein Weg?' Das alles kam mir sehr verwirrend vor.
'Ja, dein Weg oder auch der aller Menschen.'
'Also das versteh ich jetzt wirklich nicht.' Wie sollte das zugegangen
sein? War ich irgendwo heruntergeschwebt? Oder aus diesem Licht gewirbelt?
Und wo war ich vorher gewesen? Ich war vollends durcheinander, das kannst
du dir vorstellen"
Das kann ich Alice allerdings gut nachvollziehen, denn,
so wunderbar die Geschichte auch war, viel davon verstanden, was es damit
auf sich hat, habe ich jedenfalls nicht. Außerdem bekomme ich leichte
Beklemmungen, wenn ich an diese unendlichen Weiten denke und daran, wie
leicht man sich darin verlieren kann. Hier auf der Erde ist ja doch immerhin
alles bekannt, wenn man sich nicht auskennt, kann man doch fragen, wo
man ist und hat Anhaltspunkte.
"Und was sagte dann Aina darauf?"
"Sie
erklärte mir folgendes: 'Wie ich von dir weiß, bist du christlich
erzogen worden, hast von Gott gehört, aber im Laufe der Jahre sind
dir Zweifel gekommen und du hast dich von der Kirche abgewendet'
'Woher weißt du das? '
Aina sah mich ein wenig mitleidig an und lächelte 'Also liebe Alice,
wenn ich deine Gedanken spüre, glaubst du dann, dass es ein Problem
ist, zu wissen, wie dein Leben bisher verlaufen ist? Außerdem bin
ich doch deine Lichtgefährtin und das seit Beginn dieses deines Lebens
jetzt. So werde ich wohl wissen, was gelaufen ist oder?' Der saloppe Ton
erstaunte mich aus dem Mund eines Lichtwesens. Prompt kam die Reaktion:
'Das muß es nicht, denn, wie ich dir ja gesagt habe, ich habe erstens
genauso im grobe Stoff gelebt wie du und zudem kriege ich ja alles recht
direkt mit, was so läuft.' Es tat sehr wohl, zu erkennen, dass Aina
nicht ein weit entrücktes Wesen ist, sondern mich anscheinend gut
versteht.
'Schließlich', fuhr sie fort, 'hast du dich mit verschiedenen Religionen
auseinandergesetzt, weil es dir keine Ruhe gelassen hat, nicht zu wissen,
warum viele Dinge so sind, wie sie es sind.'
'Ja,' sagte ich erfreut, dass Aina das wusste, 'genauso war es. Ich habe
so viele Bücher gelesen und in den meisten sind Dinge gestanden,
die ich gut gefunden habe. Aber meistens waren dann irgendwelche Aussagen,
die mir nicht einleuchteten. Das war dann meist der Zeitpunkt, wo ich
ein unangenehmes Gefühl bekam und mich dem nächsten zugewendet
habe. Wenn ich dann mit jemandem darüber gesprochen habe, dann hieß
es immer 'Es gibt kein absolutes Wissen. Alles ist relativ. Was für
den einen gut ist, das ist für den anderen schlecht. Absolutes Richtig
und Falsch gibt es nicht.' Sag, Aina, stimmt das so wirklich?' fragte
ich, froh, mich hier jemanden offenbar kompetenteren erkundigen zu können.
'Ja und nein.' antwortete sie mir. 'Komm, Alice, lass uns ein wenig spazieren
gehen.'
So standen wir auf und begannen durch die wunderbaren Wiesen zu wandern.
Zuerst war ich völlig abgelenkt von der bunten Umgebung. Es war alles
so klar, wie es bei uns nie ist, nicht einmal nach einem Gewitterregen.
Alles war ungemein plastisch, es kam mir vor, als ob ich bisher nicht
in Stereo gesehen hätte, sondern nur zweidimensional. Die vielen
Abstufungen von grün so saftig, die Blumen von so unglaublich intensiver
Farbe. Manchmal erinnerten mich diese kräftigen Farben an Gemälde
naiver Maler. Dazwischen wieder ganz zarte Farbtöne, dann Schmetterlinge
und viele andere Tiere, dich ich bei uns nie gesehen habe. Nachdem wir
eine Weile gegangen waren, begann Aina wieder.
'Das mit dem absoluten Richtig und Falsch ist relativ,' meinte sie und
schmunzelte auf meinen verdutzten Blick. Es gefiel mir so, dass ihr immer
leicht der Schalk im Nacken saß."
"Wundert dich das?" Unterbreche ich sie. "Wenn
sie deine Lichtgefährtin ist, dann muss sie dir doch ähnlich
sein..."
"Also so was!" gibt Alice entrüstet zurück.
"Hast du selbst gesagt... aber wie ging es dann weiter?"
"Also fragte ich Aina ''Relativ', wie meinst du das?'
'Ja, relativ. Und zwar insofern: Es stimmt beides auf seine Art. Einerseits
hast du recht, dass es ein absolutes Richtig und Falsch gibt. Nur ist
die Auffassung davon eine andere. Es ist nicht richtig oder falsch im
Sinne irgend eines Rechtes oder einer Konvention. Sondern es gibt nur
ein Gegen oder Mit den Schöpfungsgesetzen. Dagegen ist falsch, mit
ihnen ist richtig.'
Das war mir gleich wiederum zu hoch. Aina merkte es natürlich sofort
und erklärte näher.
'Es gibt im gesamten Universum Gesetze, nach denen es funktioniert. Diese
Gesetze sind so einfach, dass wir sie zuerst einmal einfach übersehen.
Denn wir haben uns Jahrtausende lang geschult, kompliziert zu denken.
Schau dir doch nur die Wissenschaft und Technik auf der Erde heute an.
Und das ist das Problem von uns Menschen überhaupt. Wir denken viel
zu kompliziert.'
'Na ja, manche von uns kommen ja schon ansatzweise drauf.'
'Ja, zum Glück,' meint Aina und ist mit einem Mal sehr ernst. 'Und
es ist auch hohe Zeit dazu.' Daraufhin hält sie kurz inne, um dann
allerdings gleich wieder locker fortzufahren.
'Wir Menschen nehmen uns viel zu wichtig, sind unwahrscheinlich überheblich.
Mittelpunkt des Universums zu sein!'
'Ja und dann hört man noch vom Pfarrer, dass Gott die Menschen braucht!'
ergänzte ich entrüstet, denn das hat mich immer schon sehr gestört.
'Wie kann ein Gott, der die ganze Schöpfung geschaffen hat, uns brauchen?'
'Ja,
da hast du allerdings recht, Alice. Und damit sind wir wieder bei dem,
was du vorhin erlebt hast. Es sollte dir unter anderem zeigen, was für
ein ungeheurer Irrtum in diesen Glaubensgrundlagen liegt. Ganz am Anfang
deines 'Films' warst du doch an einem Ort, wo es so hell war. Dieser Ort
ist Unendlichkeiten weit vom Urquell alles Seins entfernt. Und du hast
zudem eine Ahnung bekommen, wie ungeheuer weit es immer noch von diesem
Ort bis zu den Gärten mit den Blumen ist, in denen du die kleinen
Kinder gesehen hast. Die Entfernungen, die du in deinem Film in Windeseile
durchschritten hast, sind in Wirklichkeit ungeheuer groß. Jetzt
erkläre ich dir kurz, was du da gesehen hast.
Das Licht, das durch das Tor hinausschoss, ist die Kraft, die vom Urlicht
ausgeht und ständig ins Universum hinausströmt. Ich sage bewusst
Urenergie oder Urlicht, weil du den Begriff 'Gott' mit Unangenehmen Erinnerungen
verbindest. Obwohl es ein und dasselbe ist. Der Ursprung, Urlicht, Urenergie,
Gott, Allah und andere Ausdrücke. Diese Kraft hat alles in sich,
und im Laufe der Entfernungen spalten sich die verschiedensten Dinge und
Strömungen daraus ab. Ein Teil der Kraft strömt dann immer weiter,
bis er auf der Erde landet, wo sich dann die Wissenschaftler wundern,
warum etwas wächst. Oder lebt. Es ist übrigens auch die Kraft
dabei, die wir ständig mit unserem Willen lenken. Aber dazu komme
ich später.
Also aus dieser Energie, die aus dem Tor schießt, sondert sich im
Lauf der Zeit immer mehr ab, irgendwann dann auch einmal diese kleinen,
bunten Funken, die du gesehen hast. Weiters hast du ja in den Gärten
viele Lichtwesen gesehen. Sie hüllen die kleinen Funken in einen
Mantel und betten sie in den Blüten, in denen sie eine Weile behütet
liegen. Weißt du, was diese Funken sind?'
Ein Ahnen stieg ganz vage in mir auf.
'Sind das...?' begann ich ungläubig.
'Ja, es sind. Es ist unser Ursprung, es sind kleine Samenkörnchen,
aus denen dann Menschengeister entstehen. Du und ich, wir Menschen haben
alle dort unseren Ursprung.'
'Stammt davon dieses seltsame Heimatgefühl, das ich plötzlich
dort empfand?'
'Ja, denn irgendwann einmal, wenn unsere Reise durch die Ebenen des Stoffes
abgeschlossen ist, werden wir wieder dorthin zurückkehren. Und sogar
noch eine Stufe höher, als dann bewußte Geistwesen. Vielleicht
hast du es auch sonst schon erlebt, dass du ein unerklärliches Fernweh
empfindest. Das kann ähnlich sein und den Grund haben, dass du dich
wieder dorthin nach Hause sehnst.'
Nun purzelten und wirbelten meine Gedanken nur so durcheinander. Das war
ja völlig umwerfend, was Aina mir da offenbart hatte. Es kam mir
wie Science-Fiction pur vor und doch spürte ich irgendwie, dass es
so sein könnte. Wir spazierten nun schweigend eine Weile durch die
frischen Wiesen, an einem Bach entlang, der, wie bei uns auf der Erde,
mit Weiden gesäumt war. Viele Fragen jagten durch meinen Kopf, teilweise
kamen auch gleich Antworten, jedenfalls war ich unfähig zu sprechen.
Nach einer Weile fragte ich Aina: 'Sag, Aina, wie ist
das mit dieser Kraft? Du sagst, sie enthält alles. Wie geht das?'
'Wenn du dich mehr mit dem Universum auseinandersetzt, dann wirst du bald
bemerken, dass überall hierarchische Systeme wirken. Ich meine damit,
es gibt immer einen Überbegriff, aus dem weitere hervorgehen. Du
kannst es so wie eine Pyramide betrachten oder umgekehrt wie einen Baum.
Es gibt immer etwas, das der Ursprung ist, von dem weiteres ausgeht. Mit
diesem Ausgehen ist immer ein Verfeinern, Spezialisieren verbunden. Weißt
du was ich meine?'
Ich dachte ein wenig nach. 'Ich glaube schon. Es ist wie ein Wasserfall,
der aus einem Strom zerstäubt in unzählige kleine Tropfen.'
Ich dachte ein wenig weiter. 'Oder wie die Ordnung in vielen Firmen. Da
gibt es einen Präsidenten, Vorsitzende, Abteilungsleiter und so weiter.'
'Genau so. Die Kraft also geht vom Urlicht aus und verästelt sich
immer mehr, je weiter sie sich entfernt.
Und auf dieser Strecke kristallisieren sich Gestalten und Knoten heraus.
Je nachdem, wie stark sie dem Druck standhalten können, 'stranden'
sie früher oder später. Du kannst es dir vorstellen wie einen
Fluss, der Gestein mit transportiert: Die schweren Steine werden früher
liegen bleiben, die leichten werden weiter getragen. Es gibt unzählige
weitere Beispiele. Dann gibt es wiederum Umwandlungswerke, wo sich die
Kraft ändert und Orte, wo sie gelenkt wird. Kannst du das nachvollziehen?'
'Na ja,' meinte ich ein wenig kläglich, 'etwas viel ist das schon,
so auf einmal.'
'Du musst es ja auch nicht sofort in seiner ganzen Tragweite verstehen.
Lass dir Zeit. Wenn du das Bild einmal in dir hast, dann kommt das schon
nach und nach. Wichtig ist nur, dass du das Grundprinzip kennen gelernt
hast, der hinter dem allen steht.'
'Das heißt also, dass vom Urlicht aus ein Kraftstrom ausgeht, der
praktisch alles enthält,' rekapitulierte ich. 'Das also ist es, was
ich bei diesem Tor gesehen habe.'
'Ja. Ab diesem Punkt, der aber eben weit unterhalb des Urlichts liegt.
Und von dort aus ergießt es sich in die Fernen des Universums, bis
ganz weit außen die letzten Fünkchen als Niederschlag liegen
bleiben. Auch von dort aus fließt die Kraft noch weiter und senkt
sich immer tiefer bis in die ganz schweren Bereiche, aus dem zum Beispiel
die Erde gemacht ist.'
'Zum Beispiel? Heißt das, dass es noch weitere Sonnensysteme wie
unseres gibt?'
'Oh ja, natürlich. Aber das erzähle ich dir vielleicht später,
sollten wir noch die Zeit dazu haben. Für diesmal ist es wichtig
für dich, diese Grundzüge kennen zu lernen, die dir das vorhin
Erlebte gezeigt hat."
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- 2 -
Die Sonne ist in der Zwischenzeit ein ganzes Stück
gewandert. Weiter drüben hat sich eine Familie niedergelassen, Erwachsene
und Kinder sind gleichermaßen eifrig am Bau einer Sandburg beteiligt.
Es wird gegraben, mit Wasser der trocknende Sand am Zerfließen gehindert,
gelaufen und gelacht. Ein Kind weint, weil sein Turm eingestürzt
ist. Der Kontrast zu der eben gehörten Geschichte könnte nicht
größer sein. Und doch - auch sie sind solche Wesen, die einmal
vor langer Zeit dort oben als Stäubchen gelandet sind? Sich dann...
ja was eigentlich? Wie geht es denn von dort aus weiter?
"Alice?"
"Ja?"
"Wie geht es denn dann eigentlich weiter? Von dort oben nach hierher?"
"Geduld, Geduld!" lächelt sie. "Die Geschichte ist
ja noch nicht zu Ende. Aber ich würde ganz gern eine Pause machen.
Etwas schwimmen und - wie spät ist es denn?"
Verblüfft stelle ich fest, dass es fast Mittag geworden ist.
"Was hältst du davon, wenn wir dann nach vorne spazieren zu
dem kleinen Laden. Gegenüber gibt es verschiedenstes Obst und dass
wir erst am Abend essen? Vorausgesetzt, du hast überhaupt soviel
Zeit."
"Ja, den habe ich beim Herunterfahren gesehen. Gute Idee. Ich hab
ja keine Verpflichtungen. Und das mit den Vermietern war auch nur eine
Ausnahme, ich wohne dort ja nur und bin in keiner Weise gebunden."
Also machen wir uns zu Fuß auf den Weg. Ich freue mich, so nah neben
Alice dahinwandern zu können. Der Schotterweg, der zur Straße
draußen führt, verläuft durch eine regelrechte Feigenbaum-Plantage.
Zu dieser Jahreszeit blühen zwar wenig Blumen, aber dafür gibt
es verschiedenste Früchte. So auch Feigen. Immer wieder bleibe ich
stehen und pflücke mir eine Feige ab. Alice betrachtet dieses Treiben
leicht angewidert, denn sie mag Feigen überhaupt nicht. Mit den Feigen
ist es lustig. Ich habe beobachtet, dass es sie betreffend keine Grauzonen
gibt. Entweder jemand mag Feigen sehr oder er mag sie gar nicht. In dem
Obstladen gibt es verlockend duftende Pfirsiche, pralle Weintrauben und
auch eine Melone erstehen wir. Wir packen alles in den kleinen Rucksack,
den ich mitgenommen habe. Alice hilft mir dabei, den Rucksack umzuhängen.
Dabei streift sie mit ihrem Arm meinen Oberarm, was auf mich wie eine
elektrische Berührung wirkt. Als ich die Geldtasche herausziehen
möchte, legt sie ihre Hand ganz leicht auf meinen Unteram und meint
"Lass nur, das zahl jetzt ich."
Dieses gemeinsame Unternehmen macht mich glücklich und ich wünsche
mir, dass es nie zu Ende gehen möge. Plaudernd wandern wir nun wieder
zurück. Im Garten vor meinem Zimmer ist ein Tisch, er ist netterweise
frei und so nehmen wir dort, wenige Meter vom Meer entfernt, unser supergesundes
Mittagessen ein. Danach legen wir uns an den Strand in den Schatten, lesen
ein wenig und nicken schließlich in der Stille ein.
Als
ich wiederum aufwache, sind die Schatten länger geworden. Alice ist
im Wasser, weit draußen sehe ich den schwarzen Punkt ihres Kopfes.
Ich setze mich auf und betrachte die Landschaft rund um mich. Links sehe
ich als vagen Streifen den östlichen der drei Peloponnes-Finger,
die Inseln Elafonisos und Kythira lassen sich mehr ahnen als sehen. Rechts
schließt dichter Wald die Bucht ab. Als alle Lebensgeister wieder
eingekehrt sind, schlendere ich ebenfalls ins Meer, Ring für Ring
erobert das Wasser meinen Körper, der mir auch sehr genau meldet,
wo es zur Zeit ist. Diese Tortur könnte ich mir zwar durch Untertauchen
oder einen Sprung ersparen, aber dieses kribbelnde Eintauchen hat auch
seinen Reiz. Das Wasser ist erfrischend und schnell entfernt sich das
Ufer. Bald treffe ich auf Alice, die schon dabei war, zurückzukommen.
Irgendeinem Missverständnis ist es wohl zu verdanken, dass wir zusammenstoßen
so kommt es zum ungewollten Kontakt von Beinen, Armen und Körpern.
Lässt sie das eigentlich völlig kalt? Oder erregt es sie ebenso
wie mich? Ihrer Miene lässt es sich jedenfalls nicht entnehmen, sie
müßte eine perfekte Pokerspielerin sein. Oder doch nicht? Es
ist zum Verrücktwerden. Ich würde schon brennend gerne wissen,
was sie so über uns denkt. Andererseits traue ich mich nicht, das
Thema so direkt ins Gespräch zu bringen, um nicht dadurch eine eventuelle
Illusion zu zerstören. Denn für den Augenblick ist es mir lieber,
nur anzunehmen, dass ihre Gefühle mir gegenüber ähnlich
sind, als mit Sicherheit zu wissen, dass es vielleicht nicht so ist. Schließlich
ist sie eine äußerst attraktive Frau und noch dazu einige Jahre
jünger. Auf jeden Fall nehme ich mir vor, bei Gelegenheit doch ein
wenig in ihrer persönlichen Vergangenheit und vor allem Gegenwart
zu stöbern. Einerseits wäre es schön, so wie es Aina bei
Alice kann, ihre Gedanken zu lesen. Aber nur in dieser Richtung. Hmm -
vielleicht ist es doch ganz gut so, dass man es nicht kann...
Mit dem Gewitter der vorvorletzten Nacht hat es zwar allgemein ziemlich
abgekühlt, es ist aber trotzdem noch angenehm. Heute habe ich keine
Lust, essen zu gehen, am schönsten wäre es, hier am Strand zu
bleiben und eine Kleinigkeit zu essen. Ich frage Alice, was sie bezügliche
des Essens für Wünsche hat.
"Es würde mir heute gut gefallen, einfach hier am Strand zu
bleiben, ich muß nicht unbedingt jeden Abend essen. Im Gegenteil,
ich esse meist abends nichts oder nur sehr wenig." So lautet ihre
Antwort und irgendwie wundert es mich gar nicht.
"Ist dir etwas Käse und Brot und Pfirsiche ausreichend?"
Dann müßte ich nämlich lediglich noch schnell Brot holen
fahren.
"Ja, reicht völlig."
"Gut, ich fahr dann schnell noch ein wenig Brot holen."
"Kann ich mich inzwischen bei dir umziehen?"
"Natürlich, die Türe ist ja ohnehin offen. Also, bis gleich!"
"Ciao!"
Auf dem Weg zu Akbar treffe ich auf Iliana, die junge Zimmervermieterin,
die Tochter des Hauses oder besser Schwiegertochter. Ob es ihr etwas ausmacht,
wenn ich am Strand ein kleines Feuerchen mache? Nein, das wäre kein
Problem. Also besorge ich noch einige Kartoffel und ein paar Würstchen,
von denen ich allerdings nicht weiß, ob sie sich zum Grillen eignen.
Letztendlich lasse ich mich doch noch dazu hinreißen, auch noch
eine kleine Flasche Retsina mit einzupacken.
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- 3 -
Zurückgekommen berichte ich Alice von meinem Vorhaben,
sie ist begeistert, was mich wiederum sehr freut. Da es noch eine Zeit
dauert, bis es dunkel wird, machen wir wieder einen Strandspaziergang,
jetzt allerdings in die andere Richtung, nach Osten.
"Etwas, Alice, frage ich mich schon, seit ich erfahren habe, dass
du mit deinem Bruder hier herunter gefahren bist."
"Ja?"
"Wenn du es als zu persönlich empfindest, sagst du es?"
"Da kannst du sicher sein."
"Wie kommt es, dass du alleine unterwegs bist? Du bist attraktiv,
intelligent und interessant - da müßten doch die Männer
Schlange stehen!"
"Das tun sie auch. Aber ich habe mit Beziehungen einige Erlebnisse
gehabt, die mich zu dem Schluß brachten, lieber alleine zu sein,
bevor ich einen Kompromiß eingehe. Ja und dann diese Geschichte,
von der ich dir einen Teil erzählt habe." Sie schweigt kurz.
"Die macht es auch nicht gerade leichter."
"hmm..."
"Ich weiß nicht ob du das jetzt nachvollziehen kannst. Diese
Erlebnisse und die Gespräche mit Aina haben meinen Horizont ganz
verschoben. Nein, nicht den Horizont - den zwar auch - aber vor allem
die Prioritäten. Ich hab dir ja meine Erfahrung erzählt. Andere
verstehen das Ganze offenbar nicht, aber für mich ist es sehr wichtig.
Weißt du, für mich ist es keine 'Geschichte', sondern ich habe
dadurch den Sinn der Dinge kennen gelernt, mein Leben hat dadurch eine
völlig andere Dimension bekommen. Ich kann unmöglich mit jemandem
beisammen sein, der das nicht zumindest nachvollziehen kann. Zuerst habe
ich, wie gesagt, begeistert ein paar Leuten davon erzählt, als aber
jedes Mal die Reaktion die war, die ich dir beschrieben habe, hab ich's
dann bleiben lassen. Jetzt erzähle ich sie praktisch mehr. Einerseits
war es wunderschön, andererseits fühle ich mich manchmal unendlich
einsam. Versteh mich nicht falsch," sie bleibt stehen und wendet
sich mir direkt zu, "es ist nicht so, dass ich deswegen andere Menschen
verachte, nein ganz gewiss nicht! Nur für eine Beziehung muss schon
etwas mehr da sein. Verstehst du, was ich meine?"
Ich kann das so gut nachvollziehen. Aber was soll ich darauf sagen? Wenn
ich einfach 'ja' sage, dann klingt das sehr platt. Wenn ich mein Verstehen
beteuere, dann sieht es so aus, als ob ich ihr damit beweisen möchte,
der Richtige zu sein. Also entschließe ich mich doch zur einfacheren
Variante, es wird sicher die Zeit kommen, wo sich die Möglichkeit
zu einem entsprechenden Dialog ergibt.
So sage ich nur: "Ja, Alice, ich weiß, was du damit meinst"
und blicke sie direkt an. Sie schaut mich auch an, ich könnte nicht
einmal sagen, daß es prüfend wäre. Nach einer kurzen Weile
dreht sie sich wieder um, wir setzen den Spaziergang fort.
"Und du? Bist du alleine? Oder bist du ein ausgerissener frustrierter
Ehemann?" Der zusätzliche leichte Spott in ihrer Stimme wirkt
verletzend, ich antworte zunächst einmal gar nicht darauf, wir gehen
schweigend weiter. Warum ist sie plötzlich so zynisch? War meine
Frage doch zu direkt gewesen?
"Du scheinst keine besonders guten Erfahrungen gemacht zu haben?"
"Nein", entgegnet sie. "Wenig gute. Es hat sogar eine Zeit
gegeben, wo mir Männer regelrecht zuwider waren."
"Oh...!"
"Ja, oh!"
"Warum bist du jetzt so..."
"...aggressiv?"
"Ja."
"Entschuldige, du kannst ja wirklich nichts dafür. Nur ist mir
alles, was auch nur im Entfernten nach Beziehung riecht, unangenehm. Nein,
unangenehm ist der falsche Ausdruck. Es bringt vergangene Erlebnisse schlagartig
in die Gegenwart und diese Stimmung möchte ich einfach nicht."
"Aber du verhältst dich gar nicht so, als wenn dir Männer
unangenehm wären."
"Es geht so lange gut, bis eine bestimmte Saite angeschlagen wird."
"Verstehe. Und das war jetzt vorhin durch meine Frage. Du hast gemeint,
dass ich es darum frage, um auszuloten, ob ich eine Chance hätte,
mehr in Deine Nähe zu gelangen."
"Ja, so ist es. Warum dann hast du gefragt?"
"Wenn ich sagen würde, daß du mich nicht interessierst
oder kalt lässt, dann wäre das wirklich gelogen. Denn ich finde
dich sehr anziehend. Aber der Grund war es eigentlich nicht."
"Eigentlich?" Sie hebt die Augenbrauen.
Ich muß innerlich schmunzeln. Noch vor nicht allzu langer Zeit habe
ich mit Freunden über das sogenannte 'eigentlich' diskutiert. Nachdem
ein Marketingspezialist meinte, dass dieses Wort große Zweifel,
ja sogar bis zur Negation einer Aussage gehen kann, habe ich andere und
mich diesbezüglich genauer beobachtet. Wir haben uns dann darüber
unterhalten und sind zu dem Schluß gekommen, daß es wichtig
für eine klare Aussage wäre, dieses Wort möglichst zu vermeiden.
"Du lachst?" Aha, offenbar ist innerlich auch nach außen
getreten. Ich erzähle ihr den Grund und schließe: "Das
'eigentlich' ist mir nur deswegen herausgerutscht, weil ich nachgedacht
habe, ob meine Aussage wirklich astrein wäre."
"Und - ist sie es?"
"Hmm... - eigentlich schon!" Nun muss sie doch auch lachen,
es freut mich, dass sich die dünne Eisplatte, die entstanden war,
aufgelöst hat.
"Also,
was war jetzt der Grund?" Schön, sie scheint wieder die alte
zu sein.
"Na ja. Erstens weiß ich es ja gar nicht, vielleicht bist du
ja mit jemandem beisammen. Und wenn nicht, dann muß es ein triftiger
Grund sein, wenn du schon länger alleine bist oder du hast eine Beziehung
erst kurz hinter dir. Da es mir von den Varianten am ehesten so scheint,
als ob du einen triftigen Grund hast, habe ich dich eben danach gefragt."
"Ganz schön clever." Es kommt mir vor, als ob ich einen
Hauch von Anerkennung gehört hätte, aber vielleicht war das
auch nur Wunschdenken.
"Vor meinem Unfall," beginnt sie plötzlich unvermutet,
"war ich in der Tat nicht alleine. Ich war mit einem Mann zusammen,
der alles ist und hat, was sich die meisten Frauen wünschen. Gutaussehend,
wohlhabend, gesellschaftlichen Status, höflich, freundlich, sexuell
interessant - ja, ich wurde von meinen Freundinnen beneidet. Und ich fühlte
mich selbst auch durchaus wohl, war's zufrieden. Dann geschah der Unfall.
Natürlich war er der erste, dem ich meine Erlebnisse erzählte
und ich erzählte es voll überschäumender Begeisterung,
so gut das halt in Anbetracht der Lage möglich war."
"Und er war derjenige, der dich als abgehoben bezeichnet hat"
falle ich ein. Sie bleibt stehen.
"Wie kommst du darauf?"
"Das war nicht schwer zu erraten. Einerseits hast du ja gesagt, daß
du einmal diese unangenehme Reaktion erlebt hast. Und neulich schrieb
mir ein Freund in einem Mail folgendes: 'Mein Psychologie- und Philosophievater,
welcher leider nun schon 10 Jahre tot ist und somit auch keine Kurse mehr
an der Volkshochschule geben kann (unheimlich schade), meinte immer dazu:
Wer sich die Sinnfrage stellt, ist irgendwo an einem Problem gescheitert.'
Das fand ich eine ganz gute Beobachtung. Denn schon lange bin ich der
Ansicht, dass Menschen, die im Leben hier erfolgreich sind und keine gravierenden
Probleme haben, ärmer dran sind als die, die kämpfen müssen.
Allerdings ist die Aussage auch ein Armutsbekenntnis unserer Zeit. Dass
es erst Probleme braucht, an denen man scheitern muss, um sich die Frage
nach dem Sinn dahinter zu stellen. Kurz und gut: Dein Mann oder Lebensgefährte
hatte meines Erachtens zu wenig Probleme, um sich mit den Dingen, um die
es in deiner Geschichte geht, auseinander zusetzen. Das hat er vermutlich
überhaupt noch nie. Weiters wurde ihm das durch sein Selbstbewusstsein
zusätzlich erschwert. Deshalb hätte es mich sehr erstaunt, wenn
er dich verstanden hätte."
Alice blickt mich von der Seite etwas fragend-zweifelnd an.
"Jetzt bist aber du an der Reihe, mich zu verblüffen..."
Das, lieber Leser, hat nun ungemein wohl getan! Ich übe mich aber
in Bescheidenheit und sage nichts weiter dazu, sondern bin vollauf beschäftigt,
meine Gesichtsmuskulatur unter Kontrolle zu halten, dass meine Freude
nicht nach außen tritt.
"Ja," meint sie dann, "so war es. Du kannst dir nicht vorstellen,
was das für ein Schlag war! Ich hätte jubelnd überall erzählen
können, was ich Wunderbares erlebt hatte! Ich war doch so ausgefüllt
von dieser großen Freude! Doch rundherum stieß ich auf dumpfes
Nicht-Verstehen. Auf nachsichtiges Mitleid. Das mit meinem Mann war das
Schlimmste. Eine vorher bestandene doch durchaus propere Welt stürzte
innerhalb weniger Wochen in sich zusammen. Ich kam mir vor wie auf einem
fremden Planeten und verstand absolut überhaupt nichts mehr. Dazu
konnte ich auch Aina nicht fragen, denn ich hatte keinen Kontakt mehr
mit ihr. Ich kam mir ungeheuer verloren vor. Der einzige, der ein ganz
klein wenig Verständnis hatte, das war Alexander, mein Halbbruder.
Aber auch er konnte es nicht wirklich nachvollziehen. Wie denn auch..."
schließt sie bitter ab.
Nun
gehen wir eine ganze Weile schweigend nebeneinander einher. Wie gut kann
ich Alice verstehen! Geht es mir doch auch oft so. Aber das kann ich ihr
wiederum jetzt nicht sagen. Wir wandern noch ein Stück weiter, durch
das mehrmalige Stehenbleiben während des Redens sind wir nicht sehr
weit gekommen. Dennoch drehen wir nun um, denn ich möchte das Holz
für unser Feuer noch vor dem Dunkelwerden zusammentragen. Das Unverfängliche
des Holzsammelns und der Vorbereitungen macht sich schnell bemerkbar,
Alice ist bald wieder fröhlich und locker. Trotzdem meine Frage aufwühlte,
was ich nicht bezweckt hatte, war es gut so gewesen, denn so hatte ich
doch auf diese Weise viel von ihr kennen gelernt, was notwendig ist, um
sie besser zu verstehen. Umso mehr schätze ich es jetzt, dass sie
mir ihre Geschichte doch anvertraut.
Mittlerweile haben wir uns auf Decken vor dem Feuer niedergelassen. Es
ist schon etwas heruntergebrannt, die Kartoffeln liegen bereits in Alufolie
gewickelt in der Glut und die Würstchen platzen teilweise auf, wobei
sie witzig prusten und pfeifen, so, als ob sie die größte Freude
daran hätten, gebraten zu werden. Beide haben wir Pullover an, es
ist doch schon etwas frisch. Von dem Ruderboot sieht man nur einen dunklen
Schatten. Githio schickt ein paar blinkende Lichter herüber. Ein
Hund bellt, ein paar Grillen zirpen. Man hört hier keinen Verkehr,
die Hauptstraße ist weit entfernt. Ich fühle mich Alice sehr
nahe. Doch um sie nicht zu verstören, kann ich nichts zu ihr sagen.
Eine quälende Situation. Sie genießt offensichtlich die Atmosphäre,
stochert bei den Kartoffeln herum, wendet sie. Mit dem Flackern der nur
noch kleinen Flämmchen huscht hie und da auch ein Lächeln über
ihr Gesicht..
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