Die Journey

Wenn du zum Lesen ständig links und rechts scrollen mußt, dann klick hier drauf!15 - Das Dach des Taigetos

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Leise und unregelmäßig blubbernd verquirlt die Luft hinter dem Windschild und schlägt mir ohne erkennbare Regel ins Gesicht. Githio liegt hinter uns und damit die feinen Omeletten und der Orangensaft und der Frappée. Im Ort ging es links ab Richtung Sparta, ein wenig bergauf und nun rollen wir durch das Hügelland nach Norden.

Gestern hatte ich auf der Straßenkarte eine zweite feine weiße Überquerung des Taigetos-Gebirgszuges entdeckt und sie beim Frühstück als heutiges Ziel vorgeschlagen. Die erste Kreuzung habe ich übersehen, so biegen wir nun links ab, bevor wir nach Egies kommen. Vorerst durchqueren wir das Tal und das Dörfchen Archontiko, es beginnt aber nun bereits langsam anzusteigen. Die Straße schlängelt sich durchs Grün, an milden Ausläufern des Gebirges entlang und bringt uns unmerklich Meter um Meter höher hinauf. Nach einer knappen halben Stunde liegt das Tal des Evotas weit ausgebreitet unter uns. Es herrscht so gut wie kein Verkehr auf dieser schmalen Strecke, einmal überholen wir einen klappriger Lieferwagen, der sich die zunehmende Steigung hinaufquält und eine Viertelstunde später einen Bus. Es muß ein virtuoser Fahrer gewesen sein, um die unzähligen Kurven und Kehren zu meistern, denke ich später zurück. Die Vormittagssonne wärmt, ohne noch die mittägliche Aggressivität erreicht zu haben. Serpentinenweise schrauben wir uns aufwärts, dann geht es zwischendurch wieder einmal leicht abwärts, der Linie der Talfurche folgend. Nach einer Kurve fahren wir in ein kleines Dorf ein. Kaum Regsamkeit. Ein Mann auf der steilen Wiese, ein paar Hühner und natürlich Ziegen. Einsam duldet ein Esel an der Straße sein Dasein, durch einen Strick um den Hals am Spazierengehen gehindert. Angebundene Esel machen mich immer traurig. Ich kenne kein Tier, das sein Los so ergeben hinnimmt. Und ich kenne niemanden, der anderen ihr Los gedankenloser aufdrängt als Menschen. Die Straße wird ein wenig weiter, links steht ein altes Vehikel, von dem man weder Alter noch Marke erraten kann. Blaue Eisengeländer begrenzen eine weiß angestrichene Terrasse, ein paar Fernsehantennen auf den Dächern spießen in den Himmel. Das Dörfchen schickt sich an, uns in die Einsamkeit zu entlassen. Die Straße wird so eng, daß etwas Breiteres als ein Personenauto wohl nur mit knapper Mühe passieren kann, ich erinnere mich mit Staunen an den Bus, der Untergrund ist eine Strecke lang gegossener Beton. Dann neigen sich Büsche und Bäume herein und das Zipfelchen Zivilisation verschwindet, wie nie da gewesen, in der Vergangenheit.

Weiter aufwärts, die Weite des Blicks nimmt ständig noch zu. Talwärts ein kleiner Hügel. Als ob der Berg seinen Arm gegen die Ebene ausstreckt, auf der Handfläche eine kleine Kapelle darbietend. Wie eine Wirbelsäule winden sich flache Stufen zu ihr hinüber. Bald aus dem Blick entschwunden, Meter um Meter steigt der Weg nach wie vor. Weiter oben wird ein bunkerartiges Gebäude erkennbar, dem wir uns nun langsam nähern. Es ist der Sattel, nach dessen Überquerung es wieder abwärts gehen muß. Ich genieße den noch tadellosen Asphalt, denn laut Karte beginnt dort oben die Naturstraße, die kein so ungestörtes Betrachten der Umgebung mehr zulassen wird. Rechts schwingt sich der Sattel zu einem kleinen Berg auf, an dessen Fuß ein Sendemast steht. Der Bunker, vermutlich eine Mischung aus Gaststätte, vielleicht Hotel, sicher Kirche ist überhaupt nicht einladend. Aus diesem Grund versuche ich rechts den Schotterweg zum Sender hinauf, vor dem eine winzige betonierte Fläche es eben erlaubt, das Motorrad mühsam zu wenden und abzustellen. Alice hat es da natürlich leichter und so stehen wir nun hier und genießen das weite Panorama. Immer noch vereitelt der Dunst den wirklichen Fernblick. Doch immerhin sieht man von hier aus im Nordosten weit über Sparta hinaus und unten kann man die den Südzipfel Lakoniens verdeckenden Insel Elaphonisos eben noch erahnen. Ohne uns abgesprochen zu haben, klettern wir beide ein paar hundert Meter den Hang hinan, dem wirren Labyrinth der von Schafen und Ziegen ausgetretenen Rinnen folgend, bis in die Obhut des Schattens einer Föhre. Alice hat ein paar Pfirsiche mitgenommen, die wir uns nun schmecken lassen. Wer jemals frische Pfirsiche wie diese hier herunten gegessen hat, wird Probleme mit jenen haben, die es in unseren Breiten nur noch gibt. So sitzen wir eine ganze zeitlang ohne ein Wort zu sprechen. Wie ein riesenhaftes faltiges Tuch liegt uns zu Füßen die Ebene des Efrotas ausgebreitet. Wie Risse in spröder Haut muten die steinigen Stellen zwischen Büschen und Föhren der Hügel an. Das einzig Regelmäßige sind wenige vereinzelte Stücke Straße, die wie verlorene Fäden über dem Knittertuch liegen. Wie schön, daß nahezu nirgends etwas von menschlicher Besiedelung zu sehen ist!

"Weißt du, was hier oben so das Herz öffnet?" wendet sich Alice an mich. Fragender Blick.
"Daß hier nur Natur ist und man die Gegenwart von Menschen nur ahnt aber nicht sieht." Ich nicke nur, denn es käme mir flach vor, wenn ich als Bestätigung mein eben zu
Ende Gedachtes ausgesprochen hätte.
"Das mag ich hier so, daß man streckenweise niemandem sieht."
"Es geht mir ebenso. Erinnerst du dich an die Dolinen damals? Drüben in Didyma?"
"Ja, wie könnte ich sie vergessen!"
"Das war das zweitemal, daß ich Dich gesehen habe."
"Mhm, das erstemal war auf Akrokorinth."
"Du hast mich dort auch gesehen?"
"Ehrlich gesagt, es war der Tiger Akbar. Den merkt man sich, wenn er einem einmal begegnet ist. Meinst du was Bestimmtes mit den Dolinen?"
Ich denke kurz nach, aber wem gegenüber sollte ich offen sein, wenn nicht Alice? "Ja. Es war eine seltsame Atmosphäre dort. Immer wenn ich an Weite und Natur denke, dann fällt mir die Stimmung dort ein. Du wirst mich jetzt für verrückt erklären. Aber ich würde dort gerne einmal über Nacht bleiben und zusehen, was sich tut. Es kommt mir vor wie ein mystischer Kult-Ort. Ist mir schon klar, das klingt etwas seltsam."
Wieder einmal sieht sie mich mit diesem seltsamen Blick an, den ich vorher noch nie bei jemandem entdecken konnte. Es ist eine eigen berührende Mischung aus Zuneigung, aber nicht Verliebtheit, Freude und Verbundenheit, die sich aber nicht wirklich in Worte kleiden läßt.
"Du weißt doch von meiner Geschichte. Wie sollte ich da so etwas als verrückt ansehen? Ja, ich könnte mir das auch gut vorstellen. Zuhause habe ich einen Baum, zu dem ich gehe, so oft ich kann. Da fällt mir übrigens etwas ein." Sie richtet sich aus ihrer malerisch-läßig hingegossenen Haltung auf und wendet sich mir direkter zu.
"Als ich einmal bei meinem Baum war und es mir nicht besonders gut ging, da umarmte ich ihn und bat ihn um Ruhe, Kraft und Beweglichkeit, um eine bevorstehende Situation besser meistern zu können. Ich kann beim besten Willen nicht mit Bäumen sprechen und ich habe leider auch keinen Kontakt zu Naturwesen. Aber trotzdem war da eine Antwort in mir, als ob der Baum zu mir gesprochen hätte. 'Ruhe kann ich dir geben', meinte er, 'auch Kraft. Aber Beweglichkeit nicht. Die bekommst du vom Wasser und vom Wind'. Du kannst dir vorstellen, daß ich perplex war. Aber dann wurde mir gleich klar: Man kann nur jemanden um das bitten, was er auch geben kann. Die Stärke des Baumes ist seine Standhaftigkeit, vielleicht noch die Flexibilität, wenn ich an Birken unter Schneelast denke. Aber Bewegung ist wirklich nicht die Symbolik, die zum Baum gehört."
"Wieso hast du um Beweglichkeit gebeten?"
"Weil Beweglichkeit das für uns wichtigste ist. Ja, es ist unser Lebensziel"
"Beweglichkeit? Na ich weiß nicht so recht... Entwicklung ja, aber Bewegung?"
"Das ist mir damals bewußt geworden, als ich so lange im Krankenhaus war. Wenn du an meine Geschichte denkst, dann sind wir doch hier herunten auf unserer Reise nur aus dem Grund, weil wir dort oben zu wenig Bewegung in uns hatten. Unser Ziel ist es doch, auf dieser Wanderung das notwendige Maß an Bewegung zu gewinnen, um, wie man so schön sagt, über uns hinauszuwachsen."
Nach einer kurzen Gedankenpause fährt sie fort: "Wenn du darauf achtest, dann wirst du sehen, daß alle negativen Eigenschaften und Handlungen aus Nicht-Beweglichkeit, sprich Trägheit erwachsen."
"Alle?"
"Ja. Sag mir irgend etwas, was du nicht gut findest."
Ich denke nach und die ersten Überlegungen äußere ich gar nicht, denn sie sind offensichtlich tatsächlich mit Trägheit in Zusammenhang. Wie etwa Faulheit, Langeweile, alles, was mit mangelnder Beherrschung zusammenhängt.
"Dann wäre ja auch Bequemlichkeit das Falsche, weil sie ja schließlich eine Art Trägheit ist?" mutmaße ich.
"Ja, genau. - Und, hast du was?" Sie wirkt richtiggehend ungeduldig.
ich muß grinsen. "Nun wart doch ein wenig, es wird mir schon was einfallen." Und ich denke weiter. Ob es der achtlos weggeworfene Müll ist, den man hier zuhauf sieht oder andere Gedankenlosigkeiten, Alice hat Recht. Halt, da hab ich doch was!
"Wie sieht es aus mit Neid?"
Ohne Überlegungspause kommt die Antwort: "Glaubst du, wenn sich jemand wirklich innerlich beweglich und aktiv und damit auch fröhlich fühlt, daß er dann Platz für Neid hat?"
"Nein, irgendwie nicht. Aber Trägheit die Ursache für den Neid?"
"Es ist nicht bei allem die Ursache so direkt sichtbar, oft ist es indirekt. Gefühle wie Neid hast Du nur dann, wenn du in irgendeiner Art unzufrieden bist oder dich übervorteilt fühlst. Traurig bist, vielleicht depressiv. Wenn du innerlich beweglich bist, dann kann das aber gar nicht passieren. Wenn du dich wohl fühlst, dann bist du nicht neidisch oder bedrückt oder resigniert. Das sind alles nur Folgen davon, wenn es innen zu langsam wird."
"Ist das nicht ein bißchen hart?"
"Natürlich. Man soll es ja auch nie so absolut sehen. Wären wir perfekt - wovor uns der Himmel behüte -" fügt sie schmunzelnd hinzu, "dann hätten wir ja alle diese Stimmungen nicht. Es geht aber auch gar nicht darum, sondern um die Grunderkenntnis. Denn allein zu wissen, wie die Zusammenhänge sind, macht schon vieles nicht nur erträglicher, sondern manches Mal sogar noch interessant."
Sie reagiert sofort auf meinen zweifelnden Blick: "Ja, wirklich interessanter. Findest du das komisch?"
"Nein, nein", beeile ich mich zu sagen, "nur kann ich mir das Leben ohne oder zumindest mit weniger Problemen auch nicht uninteressant vorstellen..."
"Darüber habe ich mit meinem Bruder gesprochen, gerade an dem Tag, als wir auf der Burg Korinth waren. Er hat genau das selbe gesagt. In dem Gespräch mit ihm ist mir die Tragweite erst wirklich klar geworden." Ich verstehe zwar gar nichts, warte aber erst einmal ab. Sie denkt kurz nach und fährt dann fort.
"Was würdest du dir wünschen, jetzt mal abgesehen von Gesundheit, wie dein Leben verlaufen soll?"
"Uff, das ist aber etwas aus heiterem Himmel!"
Sie lacht. "Egal, erzähl doch mal!"
"Also...", beginne ich, aber da wird mir klar, daß das eine ziemlich intime Frage ist, die ich gerade ihr gegenüber nicht so locker beantworten kann. Also werde ich es einfach vorerst allgemein halten. "Im Prinzip wünsche ich mir, wie du sagst, Gesundheit, ein wenig mehr Erfolg bei meiner Arbeit - oder vielleicht überhaupt eine andere - und... und eine gute Beziehung;" kurzes Überlegen. "Ja, so in etwa."
"Wie siehst du deine Vorstellung im Zusammenhang mit unserem Entwicklungskreislauf?" will sie wissen.
"Unserem? Ach so dem allgemeinen, meinst du. Die Sache mit dem Kreislauf, wie du es mir in deiner Geschichte erzählt hast, das muß ich mir noch einmal etwas durch den Kopf gehen lassen. Wenn man es konsequent weiterdenkt, dann ist es doch eine recht einschneidende Angelegenheit."
"Ok. Was hältst du von der Idee, wenn wir einfach etwas weiterfahren, du darüber nachdenkst und wir dann weiter reden?" Hoppla. Wenn sie sich etwas vorstellt, dann muß offenbar die Umsetzung recht flott passieren. Aber warum nicht. Ob das allerdings auf der bevorstehenden Schotterstraße so leicht ist, wird sich erst noch herausstellen.
"Na gut, dann laß uns das so machen," schließe ich ab und stehe auf. Noch einmal einen Abschied nehmenden Blick über die Weite der Ebene unter uns und wir kraxeln wieder hinunter zu den Motorrädern. Die paar Sachen sind schnell verstaut und wir rollen die Rampe vom Sender hinunter auf die Straße. Rechts weg beginnt nun tatsächlich sofort grober Schotter, wobei die Straße aber ziemlich neu zu sein scheint.

 

- 2 -

Vorerst geht es auf der Westseite des Höhenzuges entlang. Meine Vermutung, hier den höchsten Punkt erreicht zu haben, stellt sich aber bald als falsch heraus. Im Gegenteil. Nachdem es vorerst leicht abwärts ging, beginnt die Straße nun wiederum anzusteigen, was sogar durch ein paar Serpentinen betont wird. Wir schrauben uns weiter in die Höhe, wobei diese dadurch noch unterstrichen wird, als zwischendurch der Blick bis hinunter aufs Meer frei wird. Weit, weit unten, am Ende mancher Täler kann man es sehen, auch einen kleinen Ort, dessen Häuser wie Stecknadelköpfe aussehen. Vorbei geht es an skurrilen Bäumen. Wir kommen zu einer Kreuzung, ich entscheide mich für die linke Abzweigung, denn rechts geht es offensichtlich eher wieder zurück nach Osten. Nun wird es bald eben und wir fahren im Halbschatten der Föhren dahin. Allerdings beobachte ich mit einer gewissen Abneigung ein paar Gewitterwolken, die vor uns am Gipfel entlang streichen wie eine lauernde Katze.

Nachdem wieder etwas Zeit vergangen ist, gelangen wir zu einer kleinen Quelle, die rechts aus dem Berg fließt. Wir halten an. Sie ist mit Stein gefaßt, schon recht alt, das Wasser rint dünn aus der kurzen Röhre.
"Oh, das ist ja etwas ganz Wunderbares," freue ich mich, "richtiges artesisches Quellwasser!" Sie blickt mich von der Seite an und erwartet offenbar eine Erklärung.
"Solche Quellen haben ganz speziell gutes Wasser, das aus großen Tiefen heraufkommt, sogenanntes 'Lebendiges Wasser'. Es kann sehr alt sein und hat eine große Bedeutung für unseren Körper, er besteht ja schließlich zu siebzig Prozent daraus. Wasser ist für uns ein wichtiger Informationsträger, wir sind durch es mit der Schwingung der Erde verbunden."
In der Zwischenzeit habe ich schon meine Wasserfläschchen aus dem Sattelkoffer genommen und schütte das Wasser aus, das darin ist.
"Ist denn dieses Wasser so viel frischer?" fragt mich Alice.
"Das kannst du gar nicht vergleichen! Was aus den Rohren der Wasserleitungen kommt, hat nichts Lebendiges mehr in sich."
"Glaubst du auch hier, wo ja sicher das Wasser aus den Bergen kommt?"
"Auch hier, egal wo. Sobald Wasser bereits weniger als hundert Meter durch gerade Rohre gepreßt wird, verliert es seine Schwingung und es ist aus mit der Lebendigkeit. Wasser hat von sich aus die Tendenz, immer in Spiralbewegung zu sein - ach da gäbe es eine Menge Interessantes zu erzählen!" Das Thema begeistert mich immer wieder. "Probier doch mal, wie herrlich dieses Wasser schmeckt. Es wird sehr kalt sein, wenn es so um die vier Grad hat, dann kommt es frisch hier aus dem Berg." Tatsächlich, das Wasser ist sehr kalt. Ich probiere eine hohle Hand voll und freue mich wie immer über den belebenden charakteristischen Geschmack.
"Wieso kommt das Wasser aus der Tiefe? Ich dachte immer, daß es herunterrinnt."
Es freut mich, nun auch einmal ihr etwas Neues erzählen zu können. "Wasser wurde schon als 'das Blut der Erde' bezeichnet. Es reist durch die Erde, fällt und steigt in ewigem Kreislauf. Der Wasserkreislauf in der Erde ist ermöglicht durch die levitanten Kräfte des Wassers auch von unten nach oben. Und so kann es auch in dreitausend - oder wie hier in fast zweitausend - Metern Höhe aus dem Fels entspringen und man fragt sich, wie das möglich ist, wenn man das nicht weiß. Wasser führt uns einmal mehr die Analogie zwischen 'wie im Kleinen so im Großen' und umgekehrt vor."
Ich fülle eine Flasche nach der anderen ab.
"Es ließe sich noch viel über das Wasser erzählen. Jedes Wassermolekül hat seinen eigenen Nord- und Südpol, das Wasser tief in der Erde nimmt deren Schwingungsfrequenz auf, auffallend der unserer Gehirnströme ähnelt, so um acht, neun Hertz herum. Allerdings eben nur das wirklich lebendige Wasser. Unser Leitungswasser nicht. So können wir unter anderem durch solches Wasser wie dieses hier -" und damit halte ich die letzte Flasche unter den mager rieselnden Strahl - "unsere eigene Frequenz aufbessern und in weiterer Folge gesund beziehungsweise gesünder werden."
Interessiert hat Alice zugehört. Nun geht sie hinüber, holt aus ihrem Civi-Koffer zwei Flaschen Mineralwasser heraus und schüttet es weg, obwohl es noch unangebrochene Flaschen sind. Wieder einmal erstaunt sie mich mit ihrer Unmittelbarkeit. Ein Blick hinauf zu der lauernden Gewitterwolke sagt mir, daß Handeln angebracht ist. Regen muß hier nicht allzu lange dauern, er kann aber durchaus heftig sein.
"Laß uns etwas zum Unterstellen suchen," schlage ich deshalb vor, obwohl ich unsere diesbezüglichen Chancen als nicht so sehr gut erachte. Kurzentschlossen sitzen wir also wieder auf und rollen die qualitativ gute Naturstraße weiter.

Plötzlich steht nach einer Linkskurve ein Wohnwagen schräg vor mir. Er lagert auf der Außenseite der kommenden Rechtskurve ohne Räder auf ein paar Ziegelsteinen und hebt sich gegen den dunkel gewordenen Himmel mit seinem verwaschenen Weiß ab. Akkurat fallen die ersten dicken Regentropfen gewichtig zu Boden, jedesmal ein wenig Staub rundherum aufwirbelnd. Wir stellen die Motorräder ab und ich sehe mir den Wohnwagen näher an. Er ist natürlich verschlossen, auf seiner Rückseite steht per Hand mit einem Pinsel Griechisches geschrieben, von dem ich außer dem Wort 'Stop' nichts deuten kann. Unterhalb des Wohnwagens sehe ich ein Stück Blech. Ich klettere hinunter und winke zu Alice hinauf.
"Komm herunter, hier können wir uns tatsächlich untersetzen!"
Sie turnt die wenigen Meter herunter. "Untersetzen?" grinst sie.
"Na ja, mit dem Stehen wird es nicht so rosig aussehen..." ich zeige auf das kleine Loch. Man kann hier bestenfalls zu zweit nebeneinander sitzen aber auch nicht mehr und das nur, wenn man sich schmal macht. Offenbar ein Unterstand, der dazu gedacht ist, auch längere Zeit - allerdings alleine - zu verbringen. Geistesgegenwärtig hat Alice eine Wasserflasche mitgenommen. In geduckter Haltung eile ich durch den mittlerweile schon intensiveren Regen nochmals hoch, um etwas Brot und Käse aus dem Sattelkoffer zu holen. Wieder zurück wische ich mir den Regen vom Gesicht. Ich freue mich sehr, denn es ist nicht sonderlich viel Platz hier herinnen und so besteht die Notwendigkeit, doch recht nahe beisammen sitzen zu können.

Kaum haben wir es uns einigermaßen gemütlich gemacht, ist die ganze Gegend von wehenden Regenschleiern verdeckt. Unsere paar Habseligkeiten müssen wir vor unseren Füßen auf den Boden legen, denn wir haben ja selbst nur knapp nebeneinander auf der Steinplatte Platz. Es ist ein schönes Gefühl, über die Schulter und den Arm so direkte Verbindung zu Alice zu haben und ich muß mich zusammennehmen, um einen klaren Kopf zu behalten. Wie um mir das zu erleichtern fragt sie mich: "Und - hast Du nachgedacht?" Ping! Wieder so ein kristallklarer Schubser.
"Also wenn ich ganz ehrlich bin - nein. Ich war so mit dem Rumgucken beschäftigt. Aber ich kann's ja mal nachholen."
Während ich den Käse und das Brot auspacke denke ich an das nicht abgeschlossene Gespräch drüben beim Sender.
"Du wolltest also wissen, wie ich meine Wünsche oder besser wohl Lebensziele, im Zusammenhang mit dem Kreislauf sehe, den du damals in deiner Reise bei Aina erlebt hast." Um etwas Zeit zu gewinnen schiebe ich ein extra großes Stück Brot und entsprechend Käse in den Mund und kaue bedächtig vor mich hin.
"Nun, wenn man es so sieht, dann hat es nicht viel damit zu tun. Das war dir offenbar klar. Aber warum fragst du das?"
Anstatt einer Antwort kommt die Gegenfrage: "Wenn du das also in keinem Zusammenhang siehst, glaubst du nicht, daß dann etwas fehlt?"
Offenbar weiß Alice, daß ich nichts gegen konstruktive Kritik habe. Ansonsten wäre das schon ein ganz schöner Einbruch in meine Intimsphäre. Wer läßt sich schon gerne nachsagen, daß sein Weltbild löchrig und unvollkommen ist.
"'Fehlt'... sagen wir mal so, es steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang. Aber ist nicht das Leben hier auch nur ein Stück, kann also das Ziel des Lebens nicht auch nur ein Stück sein?"
"Dagegen ist nichts einzuwenden. Was ich aber sagen wollte ist, daß es notwendig ist, sich dieses Kreislaufs immer bewußt zu sein."
So ganz verstehe ich nicht, worauf sie hinaus will. "Und?"
"Du hast ja noch sinnvolle Ziele, viele wünschen sich nur ein Leben in Wohlstand, Ruhe und Zufriedenheit."
"Na gut, wäre das so schlimm?"
"Auf den momentanen Augenblick gesehen nicht, da pflichte ich dir bei. Aber für die gesamte Entwicklung und vor allem zur Erfüllung des Grundes, warum wir überhaupt hier sind, hilft es uns keinen Schritt weiter."
Nun bin ich doch etwas verwundert.
"Es hilft nicht, wenn man einfach 'gut' sein möchte, es gut haben will und zum Ziel hat, keinem anderen zu schaden?"
"Nein, das genügt nicht."
"Und was fehlt dann?" Ein wenig bin ich trotz allem nun verärgert.
"Bös?" Sie scheint es bemerkt zu haben und sieht mich mit einem gemein-treuherzigen Blick an. Wie könnte ich da ernstlich böse sein...
"Na klar. Das würde ja bedeuten, daß ich mir keine Gedanken mache und einfach sinnlos vor mich hin lebe." Es tut gut, ein bißchen trotzig zu sein. Und warum nicht ein wenig provozieren. Zwar kein ungefährliches Unterfangen, da meistens Menschen, die gut im Austeilen sind, alles andere als gut einstecken können. Aber auch hier habe ich es ja mit in Alice zu tun. Sie lacht, wirft den Kopf zurück und blitzt mich fröhlich und fast ein wenig kampflustig an.
"Das Wichtigste zwischen Menschen, die einem nahestehen, ist Offenheit und die Möglichkeit zu sagen was man denkt, ohne Gefahr zu laufen, deshalb ins Out zu geraten."
"Du bist so was von raffiniert!" Entrüste ich mich gespielt, woraufhin sie mit Unschuldmiene meint: "Siehst du das denn nicht so?"
"Grr! Natürlich sehe ich es auch so. Du weißt schon was ich meine!"
"Ja, ja, ich weiß. Aber darf man als Frau nicht einmal etwas raffiniert sein? - Sag?" Wenn noch ein Hauch von Ärger da gewesen wäre, dann hätte das jetzt sein totale Schneeschmelze bedeutet.
"Oh-Oh... aber jetzt erzähl mir einmal, wie du das gemeint hast."

Eifrig rückt sie sich so, daß sie mich etwas mehr vor als neben sich hat. Ich muß innerlich schmunzeln über ihre kindliche Begeisterung. Wie wenige Menschen sind so und wie gut tut diese ungezwungene offene Art!
"Das Gespräch mit meinem Bruder. Das hatte ähnlich begonnen. Meine Überlegungen dazu sind folgende: Wir sind auf diesem Kreislauf durch die Ebenen der verschiedenen Stofflichkeiten, da wir dort oben zu wenig Bewegungs- und Lichtenergie haben, um von uns selbst aus bewußt zu sein. Als logischer Schluß legt sich nahe, daß der Zweck unserer Weltenwanderung das Erlangen desselben ist, das uns fehlt oder?"
"Man merkt, daß du bei deinem Webdesign auch mit Programmierung zu tun hast."
"Wie bitte?"
"Na ja, von wegen 'logischer Schluß'..."
Sie meint darauf nur "Bäh!" steckt mir die Zunge heraus und fährt fort: "Also das Ziel ist es, Bewegungsenergie zu sammeln... Hör mal, das ist wirklich ganz grundlegend und wichtig!" Betont sie nochmals und blickt mich fragend-zweifelnd an. Nachdem ich ein wenig nachgedacht habe und versuche, diese Tatsache nachzuvollziehen, beginnt es in mir ganz leise zu dämmern.
"Ich glaube, daß ich ganz sachte beginne zu ahnen, auf was du hinaus willst." Wieder huscht dieser liebe eifrig-begeisterte Ausdruck über ihr Gesicht.
"Wirklich?"
"Ja, ich glaube schon. Der Sinn liegt im Erlangen von Bewegungsenergie, das klingt völlig einleuchtend, vorausgesetzt, deine Geschichte entspricht den Tatsachen."
Ich hab den Punkt zum Satz nicht einmal noch gedacht, da kommt schon die Antwort: "Das ist gar nicht so wichtig, ob du diese Geschichte glauben kannst oder meinst, daß sie erfunden ist. Sie ist nur ein Katalysator, der dir die Grunderkenntnis der Notwendigkeit der Bewegung vermittelt. DAS ist das wirklich Wichtige dabei. Sie könnte auch ganz anders sein, Hauptsache, sie vermittelt die Erkenntnis, was der Grund für unseren Kreislauf ist. Nein, es muß nicht einmal Erkenntnis sein. Du brauchst es nicht einmal zu glauben, sondern nur als Fiktion hinzustellen und immer wieder alle möglichen Erlebnisse daraufhin abzuprüfen. Erkenntnis wird es dann von selbst, denn irgendwann fällt es dir wie Schuppen von den Augen!" Auch das war wiederum eine interessante Überlegung. Was Alice ständig an neuen Ideen aufwirft, begeistert mich.
"Also, wenn ich dich richtig verstehe, dann meinst du, daß es wichtig ist, bei allen Überlegungen immer diesen Grundgedanken mit einzubinden?"
"Ja, ja, ja!" Sie jubelt es richtiggehend hinaus, ihre Freude bläst mich fast weg. Am liebsten würde ich sie ganz fest umarmen, so zieht sie mich an. Aber das lasse ich lieber bleiben, um die Atmosphäre nicht zu verändern.
"So betrachtet muß ich dir beipflichten, daß etwas Grundlegendes fehlt. Ja." Und ich denke nach über meine Formulierung. Aber das könnte ich durchaus auch laut. Prompt kommt ihre Frage
"Was denkst du jetzt?" Ob sie Gedanken lesen kann?
"Also mal zu den Zielen. Anderen Menschen nicht zu schaden. Ja, Alice, es ist zwar ganz wichtig, aber es ist ein Begleitumstand, wenn ich es so betrachte. Kein Ziel. Gesundheit. Hier sieht es ähnlich aus. Ich benötige sie, um meinen Ziele erreichen zu können. Aber sie ist nicht..." ich halte kurz inne, denn es kommt mir nicht schlüssig vor.
"Nein, mit der Gesundheit ist es etwas anderes. Die Gesundheit ist so eine Art Indikator. Sie zeigt mir die Richtung. Hmm... aber wie ist es, wenn ich gesund BIN? Was ist dann? Bedeutet das, daß alle Menschen, die gesund sind, auf dem richtigen Weg sind? Sicher nicht..."
"Zählt zur Gesundheit nicht auch die innere, die seelische? Und ist 'seelische Gesundheit' nicht erst dann, wenn man meist ausgewogen, frei, fröhlich und vor allem gelassen ist? So gesehen hast du ganz Recht mit der Gesundheit!"
"Ja - und die körperliche Gesundheit bricht ja erst in zweiter Linie ein, wenn die seelische Krankheit so stark ist, daß sie auf den Körper drückt und dieser dadurch ebenfalls krank werden muß. Gar nicht anders kann! Oh Mann, das ist ja hochinteressant!" Ich fühle eine ungeheure innere Bewegung, alles geht unglaublich schnell vor sich.
"Alice, ich ahne immer mehr, was es mit der Bewegung auf sich hat! Mit der Bewegung oder besser Beweglichkeit bin ich in der Lage, starre Vorstellungen abzustreifen, meine Meinung zu revidieren, auf geänderte Situationen problemlos einzugehen und wenn mir das alles gelingt, dann werde ich dadurch, sozusagen automatisch, Erfolge verschiedenster Art haben, damit glücklich oder glücklicher werden und damit wiederum mehr Beweglichkeit gewinnen. Es ist wie ein Generator, der sich selbst immer mehr aufladen kann!" Ganz unerwartet und schnell beugt sich Alice vor, schlingt ihre Arme um mich und hält mich ganz fest, beinahe bleibt mir die Luft weg. Bevor ich allerdings zum Nachdenken komme, sitzt sie wiederum wie vorher schräg neben mir, streift mit einer Handbewegung ihr schwarzes volles Haar zurück. Allerdings sitzt nun ein seltsamer Glanz in ihren Augen.

 

- 3 -

Der Regen hat mittlerweile, von uns unbemerkt, aufgehört. Draußen ist die Luft frisch und nun nehmen wir erst die unglaubliche Aussicht wahr. Vor uns läuft wie ein überdimensionales geknittertes und gefaltetes dunkles Tuch aus dünnem Karton das Taigetos-Gebirge in die Ferne, immer kleiner werdend. Aus den Abenteuern von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer kommt mir die Geschichte in den Sinn, wo ihnen am Dach der Welt die Begegnung mit dem Drachen Malzahn bevorsteht. Eine unwahrscheinliche Majestät, Selbstverständlichkeit, fast möchte ich sagen Hoheit liegt in der Bewegung, mit der sich der Gebirgsrücken gegen Süden wendet. Staunend sitzen wir kleinen Menschenkinder beide vor dieser Bühne. Jahrhunderte schrumpfen auf Sekunden zusammen, Wichtiges zur Nichtigkeit. Fern unten, recht und links kann man bis zum Meer sehen. Die Straße zu linken eilt als dünner Faden auf uns zu, stört nicht das Gesamtbild, sondern unterstreicht die gewaltigen Dimensionen. Die Kombination des Gespräches von vorhin und dieser Kulisse läßt einen beinahe den Herzschlag stocken, doch zugleich treibt es ihn auch an und schenkt so eine fast metaphysisches Erleben von den Zusammenhängen des Universums. Ohne mit einem Wort oder Bewegungen dieses Empfinden zu stören sitzen wir lange und erleben dieses Zusammengehörigkeitsgefühl vom Hier und Drüben, dem Du und Ich, fühlen die Verbindung mit den mächtigen Bergesfalten und den kleinen Föhrennadeln, hinein bis in die kleinsten Moleküle alles Seins.

Nachdem wir lange Zeit so regungslos gesessen sind, beginnen wir, uns ganz behutsam wieder zu regen. Das Gewitter ist wie weggeblasen, so, als ob es nie gewesen wäre. ein paar lockere Wölkchen schweben wie Wattebäuschchen im blauen See des Himmels, es fehlt noch, daß sie ganz unschuldig dahintanzen. Doch das würde ihrer Würde als Wolke Abbruch tun,deshalb machen sie es nicht. Wir treten in die Sonne hinaus und strecken uns, dann ein paar Schritte und wir stehen neben unseren vor Nässe triefenden Motorrädern. Beide haben wir für einen solchen Fall ein Rehleder im Gepäck, die wichtigsten Teile sind schnell trockengewischt. Jetzt, mit Muße, erkennen wir, daß wir uns am höchsten Punkt der Strecke befunden haben. Nach wie vor wortlos starten wir unsere geliebten Reittiere und setzen uns hintereinander in Trab. Der Gedanke an Dualseele kommt mir in den Sinn, den neulich Alice angesprochen hat.

Ab nun geht es ziemlich rigoros bergab. Vorbei an abgestorbenen Bäumen, viel konkreter ist das Gefälle als bei unserem Aufstieg. Oft sieht man bis weit hinunter den Verlauf der Straße. In einer Kehre bleiben wir stehen, um auf die bisher erbrachte Abfahrt zurückzublicken. Wie schnell wir in die Niederungen gekommen sind erkennen wir jetzt. Weit türmen sich die Höhenzüge auf, Wolken malen schwarze Gebilde auf ihre Flanken. Wie schlecht vernähte Narben zieht sich die Straße über ihre Seiten, wie Masern wirken die Büsche, die unregelmäßig ihre Matten besprenkeln. Hier scheint es nicht geregnet zu haben, Staub setzt sich speziell an den feuchten Stellen der Maschinen hartnäckig fest. Wir nehmen einen Schluck von dem köstlichen Wasser und rollen weiter talwärts. Bei einer Kreuzung entscheiden wir uns für links und nun dauert es nicht mehr lange, bis wir in belebtere Regionen kommen. So gelangen wir nach Saidona, wo uns wiederum asphaltierter Weg willkommen heißt. Lässig schlenkern wir den Hang hinunter, immer wieder an Häusern vorbei, durch Örtchen hindurch, bis wir auf die Küstenstraße gelangen, die von Kalamata in Richtung Süden führt.

Zügig und voll der Begeisterung, nun wieder entfesselter agieren zu können, saugen unsere Reittiere das Asphaltband der guten Straße in sich hinein, gierig, mit weit ausgreifenden Läufen. Wie edle Rennpferde strecken sie ihren Rücken, tragen uns durch die südliche Luft, die hinter uns verwirbelt und uns Fremden verwundert ob unserer Ausgelassenheit nachblickt. So dauert es nicht lange, bis wir die schmale Strecke erreichen, die sich ohne Meersicht zwischen Mäuerchen über das Plateau dahinschlängelt und einen dazu verleitet, verspielt von Kurve zu Kurve zu hüpfen. Die Sonne steht schon deutlich am absteigenden Ast des Tages, als wir die Kreuzung vor Areopolis erreichen. Spontan entschließen wir uns dazu, hier einen Kaffee zu trinken. Wir rollen auf den Marktplatz hinein und finden auch mühelos eine Möglichkeit, unserem Wunsche nachkommen zu können. Zum obligaten Frappée genehmigen wir uns zwei, drei von diesen kleinen extrem süßen und von Honig und Fett triefenden, klebrigen griechischen Gebäcken. Sozusagen als Belohnung für unser heute bisher so asketisches Eßverhalten. Oder einfach nur deshalb, weil es fein schmeckt und zur Stimmung paßt.

Nicht allzu lange hält es uns hier, bald sitzen wir wieder auf. Unsere Route heimwärts haben wir besprochen und so halten wir noch ein Stück nach Süden, um dann durch die Berge nach Kotronas durchzubrechen. Einmal mehr begeistert mich die lebendige Einsamkeit dieses Landes! Die Straße führt gerade aufwärts, kahl die Höhenrücken, nur vereinzelt ein einsamer Baum, als ob er irgendwann einmal von irgendwem vergessen worden wäre. Drüben geht es bergab, teilweise recht steil und so fallen wir von oben in das kleine Nest ein und lassen uns gemächlich bis zum Hafen hinuntertragen. Vielleicht fünfzig Meter bevor wir Meeresniveau erreichen würden, zwingt uns praktisch eine kleine Tavernenterrasse, Halt zu machen. Bremsen, Ständer, Helm, Schlüssel, Stühle scharren - Kalispera! Zweimal griechischer Salat, zwei Mythos-Biere und jetzt, wo ich das schreibe, begeistert es mich, daß die Rechtschreibeprüfung dieses Bier kennt und seinen Namen nicht tadelnd, als Tippfehler entlarven wollend, unterkringelt. Mit keinem Wort kommen wir auf die Erlebnisse auf dem Dach des Taigetos zurück, sondern unterhalten uns fröhlich über die flotte Fahrt, die etwas verschlafene Atmosphäre in Areopolis und Leute, die unten am Hafen spazieren.

Im Laufe der Unterhaltung beobachte ich, wie die Schatten des südlichsten Taigetos-Armes hinter mir allmählich beginnen, den die Bucht abschließenden östlichen Höhenrücken zu fluten. Man muß sich mit der Zeit verbrüdern, um ihn aufwärts wandern zu sehen. Wir zahlen dann und schlendern zu unseren Motorrädern hinüber. Helm, Schlüssel, Ständern, starten, Gas, Kupplung - automatisch laufen die Vorgänge ab und lassen uns so den Spielraum, bewußt die sich mit jedem Meter wandelnde Umgebung wahrzunehmen. Über den Beton des Hafens, drüben durch ein schmales Sträßchen ostwärts schlängelnd werden wir vom letzten Olivenhain am Ende des Ortes auf die neue überdimensional breite Straße geworfen. Akbar vibriert unter mir und ich kann es ihm nicht abschlagen, seine hundert Pferde aus dem Stall zu lassen. Vor Freude brüllend schlingt er die Straße hundertmeterweise in sich hinein und ich muß ihn kräftig am Ende der Geraden ins Zaumzeug greifen, um ihn daran zu hindern, sich mit mir in die Lüfte über dem schnell aufgetauchten Meer, sondern vielmehr in die Kurve zu schwingen, die das Kap umrundet. Die auf der Karte angedrohte Schotterstraße hat sich uns zuliebe in ein perfektes Asphaltband verwandelt. So habe ich kein Argument, Akbars bebendem Übermut Einhalt zu gebieten, lasse die Zügel schießen und wir fegen, fest verschweißt, durch die ausladenden Kurven, neigen uns abwechselnd dem Straßenschwarz und der Lotrechten in harmonischem Rhythmus zu, dämmen verhaltend die Kraft um gleich darauf gierig den Beschleunigungsdruck zu genießen. Was von der Ferne aus wie das hektische Wedeln eines Insekts aussehen muß, wirkt in seiner Unmittelbarkeit wie der brüllende Ritt auf sich frei gezwungener Energie.

Irgendwann einmal ist die Straße dann doch zu Ende, sie mutiert sogar zu schäbiger Schotterstrecke, die wiederum nötigt, gemütlich über und an Schlaglöchern vorbei das staubige Bild der Umgebung zu betrachten. Es bietet nichts Außergewöhnliches, und so warte ich am Ende des Schotterstreifens auf Alice. Akbar muß kräftig ausgegriffen haben, denn es dauert doch eine Weile, bis sie auftaucht.
"Wenn ich dich nicht mittlerweile etwas kennen würde, dann dächte ich, einen wahnsinnigen Cowboy davon galoppieren gesehen zu haben," grinst sie.
"Schön, daß wir wenigstens beide an Pferde dachten," entgegne ich und wir winden uns durch den kleinen Ort Kalivia. Dahinter durch abendliche Stille, vorbei an an- und abschwellendem Grillenzirpen, Öl- und Feigenbäumen und viel dürr-braunem Gras. Als wir schließlich auf de Straße münden, die von Arepolis nach Githio führt, sind wir beide ein wenig müde, war es doch nicht nur ein Tag, der in jeder Beziehung geballtes Leben angeboten hatte, sondern auch einer, wo wir es dankbar aufgenommen haben. Wir rollen hinein nach Githio, Akbar ist brav und schnurrt sittsam, hatte er heute doch, was er wollte, ein schönes Paar, denke ich bei mir, und denke dabei natürlich an den majestätischen Akbar und die flinke rote TDM daneben. Der Kreisverkehr wickelt uns einmal um sich, schubst uns vor die Gemüsehandlung und gleich drauf sitzen wir, ungemein zufrieden, auf einem der Stühle an einem Tischchen und warten auf einen Retsina, vom Kellner serviert, der hier jeden kennt.

Die Nacht senkt langsam ihren Mantel herab, die Lichter werden heller, die Schatten tiefer, die Geräusche lauter. Mopeds knattern mit ihrem unverwechselbaren Enduro-Sound vorbei, Leute, hauptsächlich Einheimische, schlendern vorbei, unterhalten sich. Eine Touristin trägt ein paar Blumetöpfe durch die Gegend und ein Vater fährt auf seinem Moped um das Rund, vor sich seinen kleinen Buben stehen habend, der begeistert-gespannt, die Augen weit aufgerissen, die Fahrt in vollen Zügen genießt. Auch Alice scheint wortlos die Umgebung einzusaugen, ebenso alles in die Erinnerung wie einen Kupferstich, aber in Farbe, unauslöschlich einzugraben, möglichst mit allen Sinnen gleichzeitig. Ein Schiff zieht gleich drüben einen glitzernden Kamm durch die ruhige See und verschwindet hinter der Mole. Eine Fledermaus katapultiert sich unstet durch die Luft und natürlich sind auch Katzen da, die zwischen den Stuhl- und Tischbeinen ihren Anteil suchen. Ich lege meine Hand auf Alices und spüre die Übereinkunft durch sanften Gegendruck.

 
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